
Perfekte Namen finden: ChatGPT im kreativen Schaffensprozess
KI für den kreativen Schaffensprozess: Wie finde ich perfekte Namen beim Schreiben eines Krimis? ChatGPT hilft. Neues aus der Werkstatt von Thomas Berscheid.
Der Sommer war im vollen Gange. Es war nicht warm. Es war heiß. Der Grensel schwitzte. Und nicht nur er. Auch sein Schwesterchen, die Hete, hatte ordentlich Schweißtropfen auf ihrer faltenfreien Stirn, die sich ihren Weg durch die kleinen Anheftungen von Schlamm und Blättern bahnten und in ihre Augen liefen.
„Ist es noch weit?“ quengelte das Mädchen.
„Da vorne ist schon der nächste Wald“, antwortete der Junge und wies mit dem Finger auf die Bäume, die er in der Ferne sah. Grensel wollte nicht, dass sein kleines Schwesterchen merkte, wie müde und abgeschlafft er bereits war. Denn sie waren auf den Beinen, seit die Sonne aufgegangen war. Und das früh in diesem Sommer.
„Du bist auch müde!“ trumpfte die Hete auf.
„Gar nicht!“ gab der Grensel pampig zurück.
Da wusste der Grensel, dass er seine Schwester nicht länger belügen konnte. Er warf einen Blick auf sie, sah in ihre müden Augen. Er seufzte, sagte aber nichts.
„Sieh mal!“ rief Hete in diesem Moment und zeigte nun ihrerseits mit dem Finger in eine Richtung. „Vielleicht haben die Wasser!“
Grensel nickte. War er wirklich schon so hinüber, dass er den Bauernhof nicht gesehen hatte, der neben ihnen lag? Er merkte, dass er sich selbst auch nicht länger belügen konnte.
„Komm“, sagte er, nickte mit dem Kopf in die Richtung des Bauernhofs. Vielleicht lag dort das Glück verborgen.
Der Bauernhof lag inmitten von Feldern, weitab von der großen Stadt mit der großen Kirche mit den zwei Türmen in der Mitte. Für Grensel und vor allem für Hete sah er aus wie eine Verheißung. Wie lange hatten sie nicht mehr in einem richtigen Haus gewohnt? Es musste eine lange Zeit sein. Sie waren Kinder, als sie vor dem pädophilen Fotografen geflohen waren, sie hatten noch kein richtiges Gefühl für die Zeit und konnten nicht einschätzen, was Wochen und Jahre bedeuteten, aber sie hatten das Gefühl, als ob das frühere Leben viele, viele Jahre her war, als ob es dieses Leben in festen Häusern nie gegeben hatte.
Nun drückten sie sich am Rand des Weges entlang. Was sollte sie hier erwarten? Ein Topf voll Gold? Eine Küche, die überquoll vor Leckereien, so dass sie sich bis ans Ende ihrer Tage satt essen konnten? Grensel merkte, dass er unendlichen Hunger hatte, denn seit ein paar Scheiben trockenen Brotes am Morgen hatten er und sein kleines Schwesterchen nichts mehr zu sich genommen. Es war Sommer, neben dem Weg waren große Pflanzen in die Höhe geschossen, die hatten solche grünen Kolben mit diesen kleinen gelben Stückchen, die konnte man gut essen, wenn man Hunger hatte. Aber die Zeit war noch nicht reif dafür. Jedoch konnten sich die beiden Kinder gut darin verstecken. So näherten sie sich dem Bauernhof.
Als Grensel fast am Tor der Hofes war, winkte er seiner Schwester zu, auf dass sie sich im Feld verstecken sollte. Er wollte sie nicht in Gefahr bringen. Tief atmete er durch. Früher einmal, als sie in der großen Stadt auf dieser Straße waren, in der keine stinkenden Autos fahren durften, hatte er sein Näschen an einem Schaufenster platt gedrückt. Da gab es eine Ritterburg, die war so groß und so schön, mit der hätte er gerne Ritter und Belagerung gespielt. So kam ihm nun dieser Bauernhof vor, auch wenn dieser keinen Wassergraben und kein Falltor hatte. Über dem Tor gab es ein Dach, aber keinen Turm. Die Ritterburg hatte er natürlich nie bekommen, denn seine Stiefmutter hatte an diesem Tag wieder alles Geld der Familie mit glühenden Augen für neue Schuhe ausgegeben, obwohl die Wohnung und der Keller bereits voll standen von Schuhen.
Vielleicht hatte sich ein Ritter damals so gefühlt, dachte sich Grensel, als er langsam auf das offene Tor zuging, auch wenn er keine Rüstung trug und kein Schwert bei sich hatte. Zudem war er kein erwachsener Mann, auch wenn sich die Kindheit bei ihm langsam verabschiedete. Dafür konnte er laufen. Schnell laufen. Und so blickte er sich immer wieder um, damit er schnell weglaufen konnte, wenn Gefahr drohte.
Ganz kurz vor dem Tor blickte er sich ein letztes Mal um. Schemenhaft konnte er sein kleines Schwesterchen Hete erkennen, die sich im Feld versteckte. Damit ging er in den Bauernhof hinein.
Dieser Bauernhof war aus roten Steinen gebaut und hatte keine richtige Mauer, so wie die Ritterburg, die Grensel im Schaufenster gesehen hatte. Dafür hatte er genau wie eine Burg einen Innenhof. Grensel lugte durch das Tor in der Mauer in diesen Hof. Kein Mensch war zu sehen. Er sah eines dieser großen tuckernden Ungetüme, mit denen er immer wieder Bauern über ein Feld hatte fahren sehen. Dann war dort ein Haufen, der ganz übel roch. Gegenüber war ein Gebäude, das ähnlich aussah wie die Häuser in der Stadt, in der er und sein Schwesterchen aufgewachsen waren, allerdings niedriger und aus roten Steinen. Rechts von ihm war ein anderes Haus, das hatte nur zwei kleine Fenster, dafür ein ganz großes Tor und das stand auch noch offen. Dort vielleicht, so dachte der Grensel, konnte etwas für sie zu Essen bereit stehen.
So schlich sich der Grensel zurück durch das Tor und winkte seine Schwester heran. Hete war ein paar Augenblicke später bei ihm und so schlichen sie zusammen durch das überdachte Tor in den Innenhof. Sie sahen sich in alle Richtungen um, schlichen an mehreren großen Fässern aus Plastik und aus Holz vorbei und kamen in dieses große Gebäude mit den großen Türen.
Das hier musste das Paradies sein. Was hatte Mutter nicht alles erzählt, als sie noch lebte, als Grensel noch klein war und Hete noch kein richtiges Wort sagen konnte? Weist du, mein kleiner Sohn, wenn du fleißig bist, wenn du immer ein guter Junge und später ein guter Mann bist, dann wirst du einmal in das Paradies kommen. Damals hatte er keine Vorstellung davon, was ein Paradies sei. Nun jedoch hatte er das Gefühl, dort angekommen zu sein.
Um beide Kinder herum gab es alles, was sich ein Kind nur wünschen konnte. In einem Regal standen Marmeladen, so hoch gestapelt, dass selbst der fast ausgewachsene Grensel nicht an die obersten Gläser heran kam. Darauf Namen und Bilder von Früchten, die er noch nie gesehen und noch nie gelesen hatte. Er las Hete einige davon vor, denn sie hatte ja seit langer Zeit keine Schule mehr besucht.
Daneben war ein Regal mit Keksen und Plätzchen. Beide überkam zeitgleich der große Hunger. Sie rissen eine Packung mit Keksen auf, die aussahen wie Männer und Frauen und hohe Gebäude, die sie hier auf dem Land in den letzten Wochen gesehen hatten. Da erst merkten sie, wie hungrig sie waren. So gierig aßen sie, dass sie gar nicht reden konnten.
Als der erste Hunger gestillt war, griff Grensel nach einem Brot und riss die Verpackung auf. Es war ein recht dunkles Brot und er musste lange kauen. Doch es schmeckte ihm so gut als sei es das erste und das beste Brot, dass er jemals gegessen hatte. Aber es war etwas trocken. Da war ein Kasten auf Metall, aus dem eine Glasscheibe war. Der Junge sah von oben hinein. Er sah runde Packungen mit einem Tier drauf, von denen er eine Menge über Felder hatte laufen sehen und die solche Geräusche wie Shawn machten, als er noch Fernsehen konnte. Er riss die Packung auf und hatte gleich ölige Finger. Nur ein kleines Stück von diesem… Ui, schmeckte dieser Käse lecker! Und was war das für ein Gewürz? So hatte diese Pizza einmal gerochen, als Mutter noch da war. So nahm Grensel den Rest des Käses mit dem Brot auf, ließ die Hete etwas davon probieren und leckte die Packung aus.
So hätte es ewig weitergehen können. Doch gerade als die Hete eine Flasche mit einem leckeren Saft aufmachen wollte, hörten beide ein Quieken. Als habe sie ein Schlag getroffen, zuckten beide vor Angst zusammen. Sie sprangen hinter den Kasten aus Metall und versteckten sich, wagten kaum zu atmen.
Vorsichtig, ganz vorsichtig lugte der Grensel über den Kasten aus Metall, in dem der lecker Käse war. Doch was er nun sah, raubte ihm auf Anhieb jeglichen Appetit. Ein Mann kam mit dem Hintern zuerst in dieses große Gebäude gelaufen, und offenbar musste er sich sehr anstrengen, denn er hatte Schweißperlen auf der Stirn und gab stöhnende Laute von sich. So ähnliche Laute wie die Männer, die bei der Stiefmutter oft waren, wenn Papa nicht da war und sie wieder Geld brauchte für neue Schuhe… Dieser Mann aber steckte nicht einen Teil seines Körpers in eine Frau, dieser Mann war auch voll angezogen und hatte Spuren von Schlamm und Schmutz an einer Kleidung, und er brauchte offensichtlich viel Kraft, um an einem Seil zu ziehen. Und was war am anderen Ende vom Seil? Grensel war von Neugier übermannt. Er hörte ein Tier, dass lauthals quiekte. Das Tier war auch nicht gerade sauber, es hatte rosa Haut und eine platte Nase. Seine Beine waren zusammengebunden, so dass es kaum laufen konnte. Am Ende des Tieres hatte dieses einen lustigen geringelten Schwanz. Und es wollte offensichtlich nicht in die Richtung, in die der Mann zog.
„Was siehst du?“ fragte Hete leise, denn sie konnte ja nicht sehen, was gerade auf der anderen Seite des großen Kastens aus Metall vor sich ging.
„Ich glaube, dass ist ein Schwein“, antwortete der Grensel leise und erinnerte sich dunkel an etwas, was eine Lehrerin mal auf einem Fernseher gezeigt hatte.
Hete wollte noch etwas fragen, doch Grensel winkte seiner kleinen Schwester zu, dass sie ruhig bleiben sollte. Denn der Mann band nun das Seil auf der anderen Seite des Raums an einem Haken in der Wand fest. Dann sprang er schnell um das Schwein herum, riss ein Seil von oben herunter, das dort von der Decke baumelte, und hakte es in dem Seil ein, das dem Schwein um die hinteren Beine geschwungen war. Nun machte er ein paar schnelle Schritte zur Seite. Offenbar hatte er das andere Ende des Seiles in der Hand und zog daran, denn nun hob das Schwein mit den Hinterbeinen vom Boden ab und ging in die Luft, bis der Kopf in Höhe der Knie des Mannes über dem rauen Boden hing. Dem Schwein behagte das offenbar überhaupt nicht. Das arme Tier schrie und quiekte ohne Unterlass.
„Grensel, ich hab Angst!“ quengelte die Hete, und der Ton ihrer Stimme zeigte ihrem großen Bruder, dass sie nicht log. Er wagte ihr nicht zu antworten, denn er selber hatte Angst um sein Leben. Eine Angst, wie er sie seit ihrer Flucht schon einmal erlebt hatte, die sich jetzt aber in reine Todesangst steigern sollte. Denn der Mann nahm erst eine ganz große Schüssel aus Plastik in in die Hand und stellte sie unter dem armen Schwein auf. Danach griff er hinter sich und hatte plötzlich ein Messer in der Hand. Ein Messer, wie es Grensel noch nie gesehen hatte. Ein Messer, so groß vielleicht wie das Schwert eines dieser Ritter die er in der Ritterburg… Mit einem Schnitt ging der Mann damit durch den Hals des armen Schweins. Das Tier quiekte nun kaum noch, es röchelte und gurgelte vor sich hin.
Dann war es still.
„Oh mein Gott!“ stammelte Grensel, der nun merkte, wie seine Unterhose vor Angst nass wurde.
Doch damit nicht genug. Aus dem Hals des Schweins strömte eine rote Flüssigkeit heraus. Der Mann nahm nun das Messer und ging an den Bauch des Schweins. Mit einem Schwall platzten runde lange Schlangen aus dem Bauch des Schweins und fielen in die große Schüssel aus Plastik.
Da musste der Grensel sich nach vorne beugen. Aus seinem Mund strömten das leckere Brot, der leckere Käse und die leckeren Kekse wieder heraus und verbreiteten sich als dunkle Masse auf dem Boden. Er musste so stark kotzen, dass er am helllichten Tag die Sterne sah. Als es vorbei war, musste er schwer durchatmen, um nicht ohnmächtig zu werden. Er sah angstvoll auf sein Schwesterchen. Sie hatte zu viel Panik, um sich bewegen zu können. Und sie wusste, dass sie niemals schreien durfte.
Der Grensel wandte sich zur Hete um wollte ihre Hand greifen. Doch dort stand die Flasche, aus der die Hete trinken wollte, bevor der Mann mit dem Schwein in den Raum gekommen war. Es klirrte laut. Der Mann hielt mit dem Messer inne, mit dem er gerade die ersten Stücke aus dem Schwein geschnitten hatte. Er blickte in die Richtung, aus der das Klirren gekommen war.
„Komm!“ rief Grensel verzweifelt seiner Schwester zu. Sie hatten beide steife Beine, hatten Todesangst und konnten sich kaum bewegen. Der Mann mit dem großen und offenbar sehr scharfen Messer, das dem Schwein mühelos den Bauch aufgeschlitzt hatte, ging langsam auf sie zu. Grensel riss seine Schwester nach oben und lief mit starren Beinen in Richtung der großen Tür.
„He!“ rief der Mann. „Wer seid Ihr denn?“
Grensel hatte den Eindruck, dass der Ruf gar nicht mal feindselig klang. Aber er hatte keine Lust darauf, es selbst zu probieren. Er wollte nur weg. Es war zu viel Böses passiert in der letzten Zeit und dieser Mann hatte… Hete konnte kaum laufen und bremste beide. So dauerte es gefühlt eine Ewigkeit, bis sie zur Tür kamen.
Doch der Fluchtweg war versperrt. Als Grensel noch drei oder vier Schritte von der rettenden Freiheit entfernt war, kam ein Mädchen aus dem hellen Innenhof in den dunklen Raum. Sie hatte eine große Schüssel vor sich. Grensel lief mit voller Wucht vor diese Schüssel und rammte sie dem Mädchen aus der Hand. Die Schüssel war offenbar aus Metall, denn sie schlug mit einem lauten Scheppern auf dem steinernen Boden des Raums auf und hopste ein paar Mal herum, bevor sie zu Stehen kam. Das Mädchen ruderte mit dem Armen, um nicht auch zu Boden zu fallen. Dann fing sie sich.
Grensel sah sich verzweifelt um. Das Mädchen vor sich, der Mann mit dem Messer hinter sich. Der Mann sah ihn an, wie Grensel merkte. Wollte er vielleicht nach dem Schwein auch ihn… Bevor Grensel in Ohnmacht fallen konnte, blickte der Mann auf das Messer und legte es auf einem Regal an der Wand ab.
„Was macht ihr hier?“ fragte das Mädchen neugierig. „Wo kommt Ihr denn hier?“ fragte der Mann, der sich vorsichtig ohne Messer in der Hand, aber mit Blut auf seinen weißen Handschuhen, den beiden Kindern näherte.
„Sind Eure Eltern hier in der Nähe?“ fragte das Mädchen. Grensel sah sie an. Sie war im gleichen Alter wie er, und wie sie ihn mit ihren großen offenen Augen ansah, hatte Grensel plötzlich ein ganz neues Gefühl, das er in seinem Leben noch nie gehabt hatte, so ein Gefühl, als ob seine Beine mit einem Mal ganz leicht wurden und als ob er diesem Mädchen alles aus seinem Leben erzählen wollte und… Aber dann roch er das Blut des Schweins und den sauren Geruch aus dem Brot, das er vorhin noch in seinem Magen gehabt hatte.
„Tut mir leid, du bist total nett, aber…“ sagte Grensel mit Tränen in den Augen. Gleichzeitig zog er die Hete hinter sich her und gab dem Mädchen mit den großen schönen Augen einen gewaltigen Stoß vor die Schulter. Sie flog ein paar Schritte, landete in einem Haufen aus Heu.
Grensel lief so schnell, als gäbe es kein Morgen. Auch Hete hatte sich nun wieder gefangen. Er sah sich um, wenige Schritte bevor sie das rettende Tor erreichten. Er sah das Mädchen. Sie war aufgestanden. Sie blickte ihn an. Grensel meinte, in die schönsten und traurigsten Augen zu blicken, die es auf dieser Welt jemals gegeben hatte.
Dann waren sie durch das Tor und rannten den Weg entlang, so schnell sie konnten.
Atemlos rannten sie in das Feld hinein. Die Flucht war für Grensel und Hete noch lange nicht zu Ende. Sie rannten weiter, immer weiter. Die Blätter der Maispflanzen peitschten gegen die Brust und das Gesicht des Jungen, er versuchte die Pflanzen links und rechts weg zu drücken, doch dann kamen sie zurück und peitschten Hete ins Gesicht, die kleiner war als Grensel und hinter ihm lief. Das war keine gute Idee. Er lief langsamer. Es dauerte, aber dann kamen sie an den Rand des Feldes. Mit einem Mal wurde es grün. Richtig grün. Grensel hatte den Eindruck, er befinde sich einem Wunderland zu Weihnachten. Es war Sommer, es war viel zu heiß dazu, aber die Bäume um ihn herum, das waren… Weihnachtsbäume. Sie rochen auch so, wie im Winter, in dem Wald, in den Hete und er geflohen waren. Die Bäume waren nicht hoch, es waren kleine Bäume, so als seien sie im Kindergarten oder in einer Schule für Bäume.
„Hat Papa nicht davon erzählt?“ fragte die Hete. Grensel wusste keine Antwort. Und wusste doch, dass seine Schwester recht hatte. Ja, ihr Vater, als er noch Arbeit hatte, setzte sich einmal, als Mama nicht mehr da war, mit Hete und mit Grensel vor den Fernseher und zeigte beiden Kindern eine Sendung über Bäume, so wie diese hier. Und dann waren sie in den Wald gefahren und hatten so etwas gesehen wie diese hier. Waren es diese Bäume? Grensel wusste auch dies nicht mehr. Die letzten Tage und Wochen hatten seine früheren Erinnerungen fast ausgelöscht. Das alte Leben, ach, das mit Papa, und noch früher das mit Mama, das war alles weg.
Doch jeder Wald und jeder Weg führt einmal zu einem Ende und auch so war bei diesen kleinen Weihnachtsbäumen. Grensel lugte vorsichtig aus dem Wald. Als er sah, dass die Luft rein war, zog er sein Schwesterchen hinter sich her. Sie schlüpften über einen Weg, durch ein Loch in einem Zaun in ein paar Büsche hinein. Und hinter diesen Büschen, da glitzerte etwas.
Es war ein kleiner See, den Grensel und Hete da gefunden hatten. Hui, ein See, nicht groß, aber für sie ganz alleine. Vielleicht waren die anderen Kinder und die ganzen Erwachsenen einfach zu dick und passten nicht durch das Loch in dem Zaun, so dachte sich Grensel, aber hier waren sie ganz für sich allein. So strich sich Grensel über sein verschwitztes Gesicht und dachte, wie wundervoll es doch sein musste, in diesem See ein Bad zu nehmen.
Grensel und Hete sahen sich genau um, ob nicht wieder böse Menschen auftauchen könnten. Sie waren nun seit Wochen auf der Flucht und hatten schmerzvoll gelernt, wie man sich vor anderen, vor bösen Menschen, verstecken musste. Doch an diesem See war außer ihnen niemand. Sie zogen ihre Hosen und ihre Hemdchen aus, tauchten sie ins Wasser und legten sie zum Trocknen über Steine am Ufer des Sees.
Hete ging als erste ins Wasser. Sie war kleiner als er, sie konnte sich schneller und besser im Wasser bewegen. Grensel kratzte sich am Kinn. Es war nicht nur der Schweiß, der ihn störte. Er merkte auch, dass sich kleine Haare an seinem Kinn, an den Wangen und am Hals gebildet hatte. Das hatte er doch früher nie… Für einen Moment erinnerte er sich daran, wie Papa ihn einmal auf den Arm genommen hatte, ihm einen Kuss geben wollte, und er hatte so kratzige Haare an der Backe… Was ging mit ihm vor? Auch seine Stimme, die war seit ein paar Tagen so anders, so als würde er mitten in einem Wort plötzlich ganz tief sprechen, so wie die großen das immer machten.
In diese Gedanken versunken sah Grensel seine kleine Schwester Hete an. Auch sie war älter geworden. Sie hatte sich in dem Wasser des See untergetaucht und sich gewaschen, wenn auch ohne Seife. Nun tauchte sie auf und kam langsam aus dem Wasser. Grensel betrachtete sie. Es schien ihm, als habe sich an ihr etwas geändert. Er hatte sie jeden Tag um sich, aber seit letztem Herbst nicht mehr ohne Kleidung gesehen. Nun glaubte er zu sehen, dass sich bei ihr leichte Wölbungen bildeten, unterhalb des Halses, dort wo die Stiefmutter ganz dicke Rundungen hatte, bei denen die Männer, die ihr Geld gaben, immer… Grensel blickte an sich herunter. Und erschrak zu Tode. Um Himmels Willen, was war das? Er spürte, er sah, wie sein kleiner Freund mit einem Mal von selbst in die Höhe ging. Was um alles in der Welt ging da vor sich? Und da erinnerte er sich an die Männer, die immer so ein steifes Ding vor die Stiefmutter hielten und die nahm das dann in die Hand und dann machte sie etwas damit, was die Männer stöhnen ließ…
Mit einem Ruck wandte Grensel sich um. Hete war seine kleine Schwester! Er musste sie beschützen, musste auf sie aufpassen, aber da kam nun plötzlich ein Gefühl über ihn, das er noch nie in seinem Leben gekannt hatte… Sie durfte nicht sehen, was da gerade mit ihm geschah. Ganz schnell lief er ins Wasser, von ihr weg gedreht, damit sie nicht sehen konnte, was gerade mit seinem kleinen Freund… Er schämte sich, wie er sich noch nie in seinem Leben geschämt hatte.
Und er wusste, dass dieses Leben auf der Flucht nicht lange so weitergehen konnte.
Es war eine lange Nacht. Eine von diesen Nächten, die alle Personen, die daran beteiligt waren, niemals vergessen würden. In diesem Fall Grensel und Hete. Sie hatten miteinander geredet. Als sie geflohen waren, als sie diesen fetten Kinderliebhaber in ein gut durch gegartes Stück Grillbauch verwandelt hatten, waren sie Kinder. Grensel war damals 10, Hete 8 Jahre alt. Ein Jahr war seitdem vergangen. Ein Jahr voll von Entbehrungen, von Angst, oft von Todesangst, von Hunger, von Hitze und noch mehr von Kälte. Beide hatten Dinge erlebt, die kleine Kinder niemals sehen sollten. Erst vor wenigen Wochen hatten sie das Massaker an der Familie der Osterhasen miterlebt. Nun, da die Tage wieder länger geworden waren, da sie nicht mehr den ganzen Tag vor der Kälte in einem Unterschlupf verbleiben mussten, war es Zeit für den Aufbruch in eine neue Zeit. Und so hatte der Grensel, als sich beide wieder angezogen hatten und die Unterschiede im Körperbau zwischen beiden nicht mehr offen zutage traten, seine kleine Schwester, die gar nicht mehr so klein war, beiseite genommen. Sie hatten sich an den Strand am See gesetzt, wie es vielleicht Liebespaare tun, aber zwischen ihnen durfte so etwas nie passieren. Das sagte der Grensel der Hete aber nicht. Vielmehr fragte er sie, ob sie vielleicht wieder in die große Stadt gehen und versuchen sollten, dort den Vater wieder zu finden. So war die halbe Nacht vergangen. Es waren keine Kinder, die da miteinander geredet hatten, es waren junge Erwachsene, bereit, sich nicht mehr herumschieben zu lassen, sondern das Leben in die eigene Hand zu nehmen. Viel geschlafen hatten beide nicht. Denn sie hatten eine Mischung aus Angst, Aufbruch und Neugier in ihren kleinen Herzen, bei dem, was sie sich für den kommenden Tagen ausgemalt hatten.
Und es gab noch einen anderen Grund, warum der Grensel wieder zurück zu diesem Bauernhof wollte. Aber das wollte er der Hete auf keinen Fall sagen.
Es waren nicht nur Grensel und Hete, die eine kurze Nacht hatten. Als die beiden Kinder durch das Tor aus dem Bauernhof heraus gerannt waren, rappelte sich das Mädchen auf. Sie redete mit ihrem Vater, was das wohl war. Dann machten sie sich an die Arbeit, denn das arme Schwein musste in seine einzelnen Teile zerlegt und verarbeitet werden, bevor die Fliegen kamen und die Sonne unterging.
Erst später machte sich Serafina, so hieß die junge Tochter des Bauern, an die Arbeit, die Scheune aufzuräumen, während der Vater die letzten Reste des armen Schweines in kleine Tüten packte und in den großen Kasten aus Metall legte, in dem es furchtbar kalt war. Da entdeckte sie etwas auf dem Boden. Eine Flasche von dem leckeren natürlichen Apfelsaft war umgekippt. Vollkornbrot lag auf dem Boden, aber es war nicht einfach aus der Packung gefallen, sondern es hatte den Weg durch den Hals des Jungen nach draußen gefunden. Sie verzog das Gesicht vor Ekel, als sie das ganze Ausmaß des Schmutzes sah, sie roch zusätzlich zu dem Blut und dem Gedärm des Schweins auch die Magensäure des Jungen, aber dann fühlte sie noch etwas anderes, was sie in ihrem Leben so noch nie in ihrem Herzen gefühlt hatte: Es war ein Gefühl wie Mitleid, nein eher wie eine Verwandtschaft, eine Neugier, warum dieser Junge all dies getan hatte. Denn dieser Blick, als er sagte, dass er sie nett finde, aber ihr dann die Hand mit voller Wucht an die Schulter rammte, dieser Blick… Sie seufzte und machte sich an die Arbeit, den Boden wieder sauber zu bekommen. Denn morgen Abend sollten eine Menge Leute kommen, die Schweinefleisch essen wollten.
„Bist du schon…“ sagte der Vater, dessen Mutter ihm den Namen Jan gegeben hatte, „fertig mit… Um Gottes Willen.“ Auch er sah erst jetzt, was die beiden Kinder hier angerichtet hatten. Er wollte schimpfen, er wollte fluchen, böse Worte, wie man sie eigentlich nicht vor der kleinen Tochter in den Mund nehmen sollte, wollte sich beklagen über diese Diebe, die sein wertvolles Gut geklaut und ruiniert hatten, aber dann sah ihn seine Tochter mit einem Blick aus ihren großen Augen an, der ihn sofort verstummen ließ. Und so ging er und nahm den großen Aufnehmer, mit dem er zuvor schon die Blutreste des Schweins vom Boden gewischt hatte. Zusammen hatten sie schnell alles aufgewischt.
„Was mögen das für Kinder gewesen sein?“ fragte Serafina mitten im Kehren.
„Von den Nachbarn kommen sie nicht“, antwortete ihr Vater mitten im Wischen. „Wer weiß. Vielleicht tauchen sie noch einmal auf.“
„Vielleicht, ja“, seufzte das Mädchen, und ihr Vater nahm etwas in ihrer Stimme wahr, dass er so noch nie gehört hatte.
Er nahm den Eimer mit dem schmutzigen Wasser und ging zum Ausgang. Dabei fiel sein Blick auf den kleinen Kasten mit dem runden Glas vorne dran, der oberhalb der Scheune einen guten Blick über den ganzen Raum hatte.
„Geh du nur schon mal zur Mutter“, sagte der Vater, als er die Tür der Scheune abschloss. „Ich bin noch was im Büro.“
Und so ging der Vater ins Büro, knipste einen Knopf auf diesem Kasten an, der ihm die ganze Welt ins Haus brachte, und wartete auf den Bildschirm. Er sah sich die Bilder der Kamera in der Scheune an. Schließlich konnte er sehen, wie die Gesichter zweier Kinder erschienen, die ein Brot aufrissen und Käse aus der Kühltruhe nahmen. Er machte das Bild größer. Dieser Junge. Hatte er ihn nicht schon einmal gesehen? Dann knurrte sein Magen so laut, dass der Vater beschloss, morgen weiter nach dem Jungen zu suchen. Die Sonne war bereits untergegangen, als er sich in die Küche schleppte, wo seine Frau und seine Tochter bereits zum Abendessen saßen.
Aber sie waren nicht allein. Denn am Tisch saß auch die Schwester des Bauern. Paulina, so hieß die Schwester, hatte das Gelände neben dem Bauernhof gekauft. Dort standen diese kleinen Bäume, die sich die Leute gerne zu Weihnachten in ihre Zimmer stellten. Paulina kam oft zu ihnen abends in die Küche, denn sie war allein auf dem ganzen Hof mit den Bäumen. Auch sie hatte davon gehört, dass es zwei Kinder gab, denn bei ihr hatte auch ein magisches Auge Bilder gemacht. Und sie meinte sich erinnern zu können, dass sie auf dem großen Schirm in der guten Stube einen Bericht über zwei Kinder gesehen hatte, die seit vielen Tagen von ihrem Vater gesucht wurden.
Dieses Mal drückten sich Grensel und Hete nicht an den Rand des Weges und versteckten sich nicht im Feld. Heute, die Sonne stand schon ein wenig über dem Horizont, gingen sie mitten auf dem Weg zum Bauernhof. Sie hatten beide Angst, ihre kleinen Herzen klopften ihnen bis zum Hals, aber dieses Mal war es weniger die Angst, die ihre Herzen schlagen ließ. Es war die Neugierde und der unbändige Wunsch, dieses Leben auf der Flucht endlich zu einem Ende zu bringen.
Beide gingen nebeneinander durch die Tür. Ja, nebeneinander, denn nun hatten beide keine Angst mehr vor dem Bösen und den Neuen, dieses Mal musste der Grensel nicht mehr die Vorhut spielen, um seine kleine Schwester Hete vor den bösen Feinden zu bewahren. Sie gingen durch das Tor und in den Hof. Neugierig blickten sie sich um. Sie waren die einzigen Menschen in diesem Hof. Also gingen sie zu dem großen Raum mit der großen Tür. Ein wenig schauderte es den Grensel dann doch, vielleicht hing ja das Schwein immer noch von der Decke und vielleicht stank es auch so fürchterlich nach Tod wie die kleinen Tiere, die Grensel in den letzten Wochen gefangen hatte, damit sie etwas zu Essen hatten. Sie kamen durch die Tür. Nein, hier war niemand. Vielleicht sollten sie noch einmal versuchen, etwas von diesem leckeren Brot und diesem leckeren Käse… Grensel kämpfte mit sich. Sie hatten am Morgen ein paar Kräuter gegessen, aber der Hunger kam wieder. Sollte er…
Ein Geräusch riss ihn aus den Betrachtungen. Hete wandte sich um. Eine Frau kam durch die Tür, sie war schlank, sie hatte die langen dunklen Haare nach hinten gebunden, sie hatte Augen, die Grensel spontan an die Augen des wunderschönen Mädchens von gestern erinnerten. Aber sie war größer, und sie hatte offenbar auch sehr viel Kraft, denn sie trug eine Kiste mit vielen kleinen Löchern vor sich, in denen etwas glänzte. Es sah aus wie kleine Brocken aus Fleisch, die in engen Tüten steckten. Die Frau stockte mit einem Ruck.
„He, seid Ihr wieder da?“ fragte sie.
Hatten Grensel und Hete erwartet, dass sie jetzt wieder in einen Kampf eintreten mussten, dass ihnen diese Frau an ihre Kleider und ihr Leben wollte, so waren sie von dieser Stimme überrascht. Denn diese Frau stellte die Kisten mit den kleinen Tüten auf dem großen Metallkasten ab. Sie kam auf beide Kinder zu. Ihre Stimme klang so freundlich, dass sie nicht sofort den an Gedanken an Flucht hatten. Sie ging vor ihnen in die Knie, bis sie mit ihnen auf Augenhöhe war.
„Bist du der Grensel?“ fragte sie den Jungen und sah ihm in die Augen.
Sie blickte auf das Mädchen.
„Und bist du die Hete?“
Pedro hatte viel zu tun. Wie lange war er eigentlich arbeitslos gewesen? Er hatte aufgehört zu zählen. Ein paar Weihnachtsfeste waren es schon, die er in einer kalten Wohnung mit dieser noch kälteren Frau an seiner Seite verbracht hatte. Doch diese Zeiten waren vorbei. Denn diese Frau war nicht mehr da, und sie hatte diese Menge an Schuhen da gelassen, die er nun nicht mehr haben wollte.
Was war passiert? Nun, seit die Mutter von Grensel und Hete tot war, hatte Pedro einige Zeit mit seinen beiden Kindern alleine in dieser Wohnung gelebt. Es war diese Zeit des Feierns und der wilden Lieder, als er Celine kennen gelernt hatte. Ein paar Tage danach war sie bei ihm eingezogen, in die drei Zimmer Wohnung, und nie mehr gegangen. Wie oft hatte er versucht, sie los zu werden, aber dann war sie immer losgezogen, hatte mit anderen Männern Geld verdient und war mit vielen neuen Schuhen nach Hause gekommen. Bis vor ein paar Wochen. Da hatten sie sich gestritten, dass die Fetzen flogen. Wutentbrannt hatte Celine den ganz kurzen Lederrock und die ganz hohen Absätze angezogen und war aus der Wohnung gestöckelt.
Sie hatte einen ihrer Kunden bedient und sich die weiße Sauce aus dem Gesicht gewischt. Ein paar Kölsch in sich hinein gekippt, um den Geschmack des Mannes und seines kleinen steifen Freundes loszuwerden. Als sie Schuhe kaufen ging, konnte sie nicht mehr ganz so gut geradeaus laufen.
Und so stand sie also mit einem ganzen Stapel Schuhe vor sich in den Händen an dieser großen Straße in der Stadt mit dieser Kirche mit den beiden großen Türmen. Es war ein wenig Regen in der Stadt, und es gab Wind. So geschah es, dass ein starker Wind die obersten beiden Kartons vom Stapel wischte. Hui, wie sich die Celine dabei aufregte. Und weil sie ein wenig zu viel von diesem leckeren Bier getrunken hatte, polterten nun auch die anderen Karton zu Boden und flogen auf diese große Straße.
Dumm nur, dass gerade einer dieser Männer, die noch jung waren und so eine schöne Frau mit willigem Mund wie Celine nicht bezahlen konnten, es diesen Mädchen so richtig zeigen wollte, was für ein toller junger Held er doch war. Er fuhr eines dieser Autos, wie auch Celine es fuhr, aus dem Land wo es Bier ein Beine vom Schwein hab und man so komisch redet. Allerdings war dieses Auto viel höher, viel breiter und viel stärker als das von Celine. Und so geschah es, dass Celine gerade in dem Moment, als sie ihre wundervollen neuen Schuhe aufsammeln wollte, von diesem Auto mit einem richtig großen Knall gerammt wurde und in einem Augenblick mehr zerdeppert wurde, als es der Bauer mit dem Schwein jemals anstellten konnte.
Für Pedro war all dies ein Schock. Er hatte das, was an Fleisch von Celine noch übrig war, an einem einsamen und regnerischen Tag unter die Erde bringen lassen. War er traurig darüber, dass Celine ein solches Ende gefunden hatte? Ja, schon. Er hatte Tränen vergossen, viele Tränen. Aber dann stand ein Mann vor der Tür, der hatte einen Anzug an, und der brachte ein Blatt Papier in die Wohnung von Pedro. Da wurde dem Pedro ganz anders. Denn auf dem Blatt standen ganz viele Zahlen, und da wusste der Pedro, dass er sich in den nächsten Tagen wieder etwas richtiges zu Essen kaufen und die Heizung anstellen konnte.
Doch nicht nur das war passiert. Nun, da die Celine nicht mehr neue Schuhe kaufen konnte, überlegte Pedro, was er mit all diesen Schuhen machen sollte. Wie viele Paar Schuhe waren es eigentlich? Das Zimmer von Grensel und Hete stand voll mit Schuhen, denn sie waren ja nicht mehr da, der Keller stand voll mit Schuhen, die meisten hatte Celine nicht einmal ausgepackt. Aber der Pedro war nicht dumm. Er kaufte sich einen dieser Kästen, die mal aufklappen und mit denen man Nachrichten und Bilder und Filme in die ganze Welt schicken konnte. Er kaufte sich auch einen dieser magischen Knochen, mit denen man nicht nur mit Leuten reden konnte, die irgendwo in einer anderen Stadt waren. Sondern mit denen man auch lustige Filmchen machen konnte, die man sich auf anderen magischen Knochen ansehen konnte. Und so stellte Pedro jeden Tag mindestens ein paar Schuhe für andere Leute bereit und verkaufte sie. Hui, wie sich die Männer mit dem Schlips und die Frauen mit den teuren Kleidern in der Bank da freuten, als er nach vielen Tagen nicht um Geld bat, sondern als er zu ihnen kam und wissen wollte, wie er möglichst lange etwas von dem Geld haben könnte.
Nun aber begab es sich, dass der Jan und die Paulina vor dem Kasten und dem Bildschirm saßen und sich die Bilder der Kamera ansahen. Die Paulina hatte doch tatsächlich in diesem Netz, dass die ganze Erde umspannte, ein Filmchen gefunden, das die beiden Kinder zeigte. Es zeigte nicht nur die Gesichter, es zeigte auch ihre Namen. Grensel und Hete. Und es musste mit dem Teufel zugehen, wenn es nicht diese beiden Kinder waren, die sie gestern auf dem Hof gesehen hatte. So sah es auch Karina. Sie ließ die beiden ihre Arbeit machen, denn sie war ja selbst Mutter, und vielleicht konnte man eine andere Mutter nun sehr glücklich machen.
So kam es dann, dass Jan ganz aufgeregt eine Nummer anrief. Er hatte eine Anzeige gefunden, in der ein Mann seine Kinder suchte. Jan tippte die Nummer auf das Glas seines magischen Knochens, sah noch einmal nach, ob es die richtige war, und drückte auf ein grünes Symbol. Vor Aufregung wartete er.
„Hier Pedro“, meldete sich der Vater, „möchten Sie einen Schuh kaufen?“
Schon oft hatte Pedro solche Gespräche geführt, doch dieses hier war anders.
„Nein“, antwortete Jan, „ich möchte etwas anderes… Können Sie… Sitzen Sie gerade?“
Pedro hatte eine dunkle Vorahnung. Er wusste, dass Menschen solche Worte immer nur dann verwenden, wenn jemand tot war. Es waren auch die Worte, die man ihm am Telefon gesagt hatte, als Celine zu einem Fleischbrocken auf der Straße geworden war. Er setzte sich. Sagte es dem Jan.
„Haben Sie zwei Kinder?“ fragte der Mann am magischen Knochen. „Heißen sie Grensel und Hete?“
Für einen Moment konnte Pedro nichts sagen. Es übermannte ihn. Oft schon hatten Menschen angerufen und ihm Hoffnung gemacht und dann hämisch gelacht, weil sie ihm einen bösen Streich spielten. Manchmal war es auch einfach eine falsche Spur.
„Ich schicke Ihnen ein Video“, sagte der Jan. Er legte den magischen Knochen auf den Tisch. Mit ein paar Klicks hatte er auf dem anderen Kasten dem Pedro ein Filmchen geschickt, wie es gestern in dem großen Raum entstanden war.
Der Pedro ging zu seinem elektrischen Kasten und wartete auf den Brief ohne Papier. Hui, war er aufgeregt! Er stolperte über seinen magischen Knochen, es knirschte, und dann konnte er mit diesem Knochen nicht mehr mit anderen reden. Aber das war nun nicht wichtig. Denn er sah den Brief ohne Papier, klickte auf das Filmchen, und dann sah er… Sein Herz setzte aus. Nicht wegen des Schmerzes. Sondern wegen der unendlichen Freude.
Auch Jan und Paulina waren nervös. Jan knabberte an seinen Fingernägeln. Dann kam ein Brief ohne Post. Pedro schrieb ihnen, dass er sofort mit dem Auto zu ihnen kommen werde, ohne Telefon, das sei gerade kaputt gegangen. Paulina drückte ihre schlanke Nase gegen den Bildschirm.
„Ist das jetzt wirklich…“ begann sie bewegt. Sie kam nicht weiter.
„Seht mal wen ich gefunden habe!“ rief Karina von der Tür aus. Rechts und links von ihr standen zwei Kinder. Grensel und Hete.
Nun hatte es Pedro eilig. Sehr eilig. Sein Smartphone, dieser magische Knochen mit der Verbindung zur gesamten Welt, war kaputt. Vielleicht konnte man den Knochen auch reparieren. Vielleicht einen neuen kaufen. Was er aber nicht kaufen konnte, das waren seine Kinder. Er hatte sie gerade auf dem Bildschirm gesehen. Er hatte mit ihnen geredet. Er hatte ihre Stimmen gehört, die so anders klangen als noch vor einem Jahr. Und dann hatte er sie nur noch verschwommen auf dem Bildschirm gesehen, denn er musste hemmungslos weinen, wie ein kleines Kind, dem man das Lieblingsspielzeug kaputt getreten hatte.
Verwirrt sah Pedro sich um. Wo sollte er anfangen? Die Wohnung sah aus wie das verlauste Heim eines Messies. Es lag kein Schmutz herum, aber fast 500 Paar Schuhe lagen auf dem Boden verteilt, alle sauber mit Aufklebern versehen und bereit einen neuen Besitzer zu finden. Er suchte die Schlüssel für das Auto. Es war nicht mehr dieses tiefergelegte Ding aus dem Land mit dem Bier und den Schweinshaxen, die gleiche Marke wie Celine sie aus dem Leben befördert hatte, dieses Auto hatte viel weniger Geld gekostet und stammte aus dem gleichen Land wie der Opa von Pedro. Er nahm den schwarzen Schlüssel und rannte herunter. Sollte er etwas mitnehmen? Egal. Wichtig waren alleine Grensel und Hete.
„Euer Vater kommt gleich“, sagte Jan mit einer Stimme, die nur mühsam die Tränen überdecken konnte. „Möchtet ihr etwas essen?“
Karina und er gingen in die Küche. Hui, wie lange hatten Grensel und Hete nicht mehr auf einem richtigen Stuhl gesessen! Nicht mehr an einem richtigen Tisch! Hatten sie dieses jemals in ihrem Leben getan? Für beide war es eine Erinnerung, die aus einer anderen Welt, aus einem anderen Leben zu kommen schien. Und konnten sie diesen Menschen trauen? Sie waren so vielen bösen Menschen begegnet, sie hatte ein unbändiges Misstrauen, doch diese Menschen so anders, sie hatten offenbar ein gutes Herz, das spürten beide in ihren eigenen Herzen. Und so aßen sie Brot und richtige Butter und guten Käse und Marmelade aus Früchten, die auf diesem Hof gewachsen waren.
Karina war aufgefallen, dass die beiden Kinder rochen. Kein Wunder, denn sie hatten rund ein Jahr lang die Wäsche nur selten getauscht. Sie lief in die Scheune. Dort hatten sie in einem großen Schrank Wäsche gesammelt, von der eigenen Tochter und von den Nachbarn. Kaum waren sie satt, konnten Grensel und Hete Modenschau machen. Es fühlte sich für beide an, als träten sie in ein neues Leben ein.
Das Auto von Pedro wusste nicht wo es hinfahren sollte, denn es war so alt, dass es den Bauernhof in dem großen Computer mit allen Landkarten nicht gespeichert hatte. Und auch das Smartphone war keine Hilfe, denn dieses lag ja kaputt in der Wohnung. Also musste Pedro ein paar Mal anhalten und Menschen nach dem Weg fragen. Manche kannten die Adresse nicht. Er wollte schon wütend werden, dann sah er ein Mädchen, vielleicht auch eine junge Dame, ungefähr im Alter von Grensel, die an der Straße stand, neben einem kleinen offenen Häuschen aus Plastik und unter einem Schild, auf dem ein großes Auto mit vielen Fenstern gezeichnet war. Er sprach sie an und fragte sie nach der Adresse.
„Wieso wollen Sie…“ fragte Serafina stutzig.
Und Pedro erklärte ihr, dass er einen Sohn habe, der ungefähr so alt sei wie sie, und eine kleine Tochter, zwei Jahre jünger, die seien beide vor einem Jahr verschwunden und gestern seien sie auf einen Bauernhof gekommen und…
Serafina sprang auf. Sie fragte Pedro, ob sein Sohn braune Augen und was für Haare er habe. Ihr Herz begann wie wild zu schlagen, nicht vor Aufregung, sondern… Einen Wimpernschlag später saßen sie beide im Auto. Serafina wusste, dass ihre Mutter ihr das verboten hatte, und Pedro wusste, dass die Sache mit dem bösen Herrn Müller der Fehler seines Lebens gewesen war, aber beide wussten im selben Augenblick, dass sie die gleichen jungen Menschen meinten. Und so wies sie Pedro den Weg zum Hof.
Pedro bog mit seinem spanischen Auto auf die Straße zu dem Hof ein, sah die kleinen Weihnachtsbäume, sagte zu Serafina, dass er sie sehr schön fände. Sie sagte, dass sie der Tante gehörten. Sie bogen in die Zufahrt zum Hof ab und Serafina steuerte Pedro so exakt durch das Tor dass er nicht mehr zu fragen brauchte. So schnell wie in diesem Moment war er noch nie aus dem Auto gesprungen! Er lief auf die beiden Kinder zu. Sie waren ein Jahr älter geworden, sie waren keine richtigen Kinder mehr und noch keine Erwachsenen, aber sie waren sein Fleisch und Blut. Hui, war das ein Wiedersehen! Für einen Moment schien es, als habe die ganze Welt den Atem angehalten, als blickten alle Augen aller Menschen in dieser Welt nur auf diesen Bauernhof, auf dem gerade drei Menschen wieder zusammenfanden, die ein Jahr lang voneinander getrennt waren. Er kniete sich zwischen beide und drückte sie so fest, dass es ihnen fast die Luft zum Atmen nahm. Sie wechselten Worte, zärtliche Worte, herzliche Worte. Und es flossen viele Tränen aus ihren Augen.
Und so kam es, dass der Vater seine beiden Kinder wiederfand. Sie hatten sich viel zu erzählen, besonders die Hete hatte nun zum ersten Mal seit dem bösen Erlebnis mit dem Fotografen Müller die Möglichkeit ihr Herz zu öffnen und von den ganzen guten und schlechten Dingen zu erzählen, die ihnen widerfahren waren. Hui, wie bei Pedro da auch die Tränen flossen, denn er war es ja, der seine Kinder an den Liebhaber kleiner Kinder verkauft und ihnen damit das Leben zerstört hatte.
Doch sie waren nicht die einzigen, die Tränen vergossen. Karina, Jan und Serafina standen um die Gruppe aus Vater und Kindern herum, sie litten und sie freuten sich mit ihnen. Serafina rannte ins Haus, brachte Kuchen und Kakao und Kaffee und so setzten sie sich auf die Bank und die Stühle im Hof und redeten und redeten und redeten.
Die Sonne hatte bereits die Zeit des Nachmittags verlassen, als Pedro sich von seinen Kindern löste. Bei diesen netten Menschen waren Grensel und Hete gut aufgehoben. Er eilte in seinen Wagen nach Hause, mit gutem Gewissen und reinem Herzen. Es war Zeit, die Wohnung aufzuräumen, die Schuhe beiseite zu legen und die Bettchen von Grensel und Hete neu zu beziehen. Vielleicht waren sie beide zu groß geworden für ihre Bettchen, aber dann konnte er ihnen mit dem neuen Geld neue Betten kaufen und neue Bettwäsche und vielleicht konnten sie auch umziehen aus dieser Wohnung, die ihn immer an die Celine erinnerte, von der er nichts mehr wissen wollte. Er ging hoch zu der Wohnung und krempelte die Ärmel hoch. Es war eine Menge zu tun.
Ach, was war das alles die letzten Tage… Hete hatte ihrem Vater so vieles erzählt. Nun gab es für sie endlich wieder Hoffnung auf ein Leben, ein richtiges Leben, so mit einem richtigen Bett, mit einem Frühstück, mit Heizung, mit Dusche und mit frischer Wäsche. Sie sah sich in dem Hof um. Morgen würde Papa mit dem Auto wiederkommen und sie zurück in die Wohnung bringen, wo die Stiefmutter nun nicht mehr dauernd mit ihr schimpfen und sie zur Sau machen würde. Hete merkte, dass sie ruhiger wurde. Und sie wurde neugierig. Wo waren sie eigentlich gerade, Grensel und sie? Aus dem Haus, wo die Bauern lebten, kam ein leckerer Geruch. Sie folgte der unsichtbaren Spur des Geruchs und fand Karina in der Küche.
„Bist du neugierig?“ fragte die Bäuerin mit einem Lachen in der Stimme.
„Was machst du gerade?“ fragte die Hete und blickte über die Tischkante.
Und so erklärte Karina ihr, wie man aus Mehl und Hefe und Wasser und Salz einen Teig knetete und wie im Backofen daraus ein selbst gemachtes Brot wird. Hete folgte ihren Händen mit den Augen, als sei es ein ganz spannender Film oder ein ganz spannendes Game auf der Konsole. Aber dies war noch besser, denn als sie eine Scheibe von dem noch warmen Brot aß, war dies, als sei die direkt im Paradies gelandet.
Grensel hatte sich geschrubbt. Gestern hatte er zwar im See gebadet, aber heute hatte er zum ersten Mal seit der bösen Geschichte mit dem Fotografen Müller Seife genutzt, hatte frische Unterwäsche an, die zuvor einem Jungen aus der Nachbarschaft gehört hatte. Nun passten sie dem Grensel, als seien sie genau für ihr gewebt worden. Er hatte sich die langen Locken gewaschen, die seit einem Jahr keine Schere mehr gesehen hatten. Endlich wieder ein Spiegel. Hui, hatte er sich beim Blick in sein eigenes Gesicht gedacht, das bin ich? Er merkte es jetzt auch beim eigenen Anblick im Spiegelbild, dass er die Kindheit verließ und auf dem Weg zum Mann war.
In dieser Stimmung kam er die Treppe des Bauernhofs herunter. Er wollte auf den Hof. Erst dann fiel ihm ein, dass er ja nicht mehr fremd hier auf dem Hof war und fliehen musste, sondern dass er als Gast hier war und nicht als Einbrecher. Er musste sich das alles erst einmal ins Bewusstsein rufen. Und er musste auch nicht nach seinem kleinen Schwesterlein sehen. Aus dem Flur heraus sah er, dass Hete gerade mit beiden Armen in einem Stück Teig steckte. Sie knetete. Und sie hatte offenbar viel Spaß dabei, denn sie hatte ein Lachen und ein Lächeln im Gesicht, das Grensel noch nicht bei ihr gesehen hatte. Ihm war, als fiele eine unendlich schwere Last für alle Zeiten von ihm ab.
In solcher Stimmung ging Grensel dann doch auf den Hof. Hatte er gestern zur gleichen Zeit noch sein Schwesterchen an den Armen gerissen, um möglichst schnell von hier weg zu kommen, so ließ er sich hier nun treiben. Er ging in den großen Raum durch die große Tür, aber nun wusste er, dass dieses die Scheune des Bauernhofs war. Dort sah er Serafina, die gerade neue Ware ins Regal mit der selbst gemachten Marmelade und Gelee und Säften räumte. Sie hielt in der Arbeit inne, als sie ihn sah. Für einen Moment stockte Grensel der Herzschlag. Ach, was hatte er die letzten Monate für Abenteuer bestehen müssen, hatte bösen Menschen und Menschen fressenden Tieren gegenüber gestanden, ohne dass er sich dabei ohnmächtig fühlte, aber nun war da dieses wunderschöne Mädchen dass ihm den Atem nahm. Gab es so etwas im Leben?
Sie drehte sich nicht gleich wieder zur Arbeit im Regal um. Serafina musterte ihn von oben nach unten, und dabei gingen ihre Mundwinkel ein wenig nach oben.
„Schick siehst du aus“, sagte so zu ihm und sah ihm dabei in die Augen.
„Danke“, sagte Grensel nach kurzem Zögern und machte ein paar Schritte auf sie zu.
„Ich kenne den Jungen, dem die Klamotten vorher gehört haben“, erklärte Serafina. „Du siehst darin erheblich besser aus.“
„Oh“, suchte Grensel fieberhaft nach einer Antwort, „ich… Also du siehst aber auch toll aus.“
Grensel merkte, dass die junge Frau ihm gegenüber eine leichte rote Farbe im Gesicht bekam.
„Serafina“, sagte er dann leise mit leicht bedrückter Stimme, „du, wegen gestern… Dass ich dich so geschubst habe… Das habe ich nicht… Ich wollte dir nicht weh tun.“
Serafina wurde mit einem Mal ernst. Sie stellte den Korb mit den Marmeladen und dem Gelee auf der Truhe ab.
„Ist schon gut“, antwortete sie mit ernster Miene. „Vielleicht wollte es das Schicksal so, das wir uns auf diese Art begegnen.“
Sie kam einen Schritt auf ihn zu. Er wollte ihr etwas antworten. Er bekam den Mund nicht auf. Was um alles in der Welt ging da gerade vor sich? Ihm drehte sich alles. Das einzige was er sah waren ihre Augen. Diese wunderschönen braunen Augen.
„Wo seit Ihr eigentlich hingelaufen?“ fragte Serafina aus reiner Neugierde. „Wir haben Euch den ganzen Abend gesucht.“
„Zu dem See“, brach es aus Grensel heraus, und er war froh, wieder etwas sagen zu können.
„Der See am Waldrand?“ fragte sie zurück. „Aber der ist doch gesperrt. Da ist doch ein Zaun…“
Grensel musste lachen. Kein Lachen der Verachtung, sondern ein befreites Lachen eines Menschen, der aus seinem eigenen Leben berichten konnte. Und so berichtete er Serafina, wie er die letzten Monate mit seiner kleinen Schwester Hete so manchen Zaun überwunden hatte, wie er sich darunter durch gegraben hatte und wie sie Zweige geholt hatten um über einen Zaun zu steigen. Serafina hörte gebannt zu.
„Da war ich so lang nicht mehr…“ sagte sie mit einem Hauch Sehnsucht in der Stimme. „Kannst du mir den Weg…“
„Na klar“, drehte er sich um und winkte sie neben sich.
Mit dem Handrücken wischte sich Pedro den Schweiß von der Stirn. Er schaffte das heute nicht mehr. Der Kühlschrank war leer, von nun an musste er die beiden Kinder ja mit versorgen und nicht mehr nur sich alleine. Was hatten sie eigentlich immer so gern gegessen? Vielleicht sollten sie morgen erst einmal ausgiebig Pommes essen gehen, die hatten beide so geliebt. Aber heute? Er hatte selbst Hunger. Wenn der Einkauf durch war, musste er erst mal das Kinderzimmer fertig machen, und das schaffte er heute Abend bestimmt nicht mehr. Nein. Das ging so nicht. Er nahm das Smartphone. Vielleicht konnte er… Nein. Auch nicht. Das Glas war gesprungen. Der magische Knochen war tot. Er machte den Rechner an. Sah die Mails durch. Um Gottes Willen, was war das denn? Hete mit weißen Fingern und weißen Armen. Dann das erste von Hete selbst gebackene Brot in diesen Armen! Und das stolze Gesicht der frisch gebackenen Bäckerin! Pedro musste fast weinen vor Freude! Dann fragte er Jan, ob das mit Morgen klappen könnte. Zeit, den Kühlschrank zu füllen. Wo sollte er hingehen? Da gab es doch diesen Joghurt mit viel Sahne, den Grensel immer so gerne gegessen hatte… Nun wusste er das Ziel.
Wie gewohnt sah sich Grensel um, ob ihnen jemand folgte. Serafina kicherte vor lauter Aufregung. Er hielt das Stück des Maschendrahtzauns hoch, dass er gestern ausgegraben hatte. Serafina schlüpfte durch. Auf der anderen Seite hielt sie den Zaun hoch, und das war neu für Grensel, denn Hete konnte ihm bei der Flucht niemals so helfen, dafür war sie zu klein. So gingen sie zu dem Ufer des Sees.
„Ui, ist das schön hier!“ brach es aus Serafina heraus.
„Warum ist das eigentlich gesperrt?“ fragte Grensel.
„Weiß ich nicht genau“, antwortete das junge Mädchen, „hier sind wohl im Sommer Kinder geschwommen und ertrunken. Seitdem ist der Zaun hier. Hat mir Papa erzählt.“
Sie setzten sich auf die beiden Steine, genau auf diese Steine, auf denen Grensel mit Hete letzte Nacht das lange Gespräch geführt hatte. Nun aber war es eine andere junge Frau, die ihm hier gegenüber saß. Und sie erzählte, wie sie als kleines Kind hier mit den Füßen ins Wasser gegangen war, wie sie im Sand gegraben und Ritterburg gespielt hatte. Grensel hörte ihr einfach nur zu, es war eigentlich egal was sie sagte, er wollte einfach nur ihre wundervoll sanfte Stimme hören.
„Was hat euch eigentlich von zu Hause vertrieben?“ fragte Serafina. „Ich meine… Du musst mir das nicht sagen. Nur wenn du magst.“
Grensel sah diesem jungen Mädchen in die Augen. Er wusste nicht, ob er… Und da gab es kein Halten mehr. Der böse Fotograf, die Autobahn, der Osterhase… Die Sonne spiegelte sich mit den letzten Strahlen im See, als er fertig war. Er atmete aus. Er war fertig. Und er war glücklich, dass er jemandem alles gebeichtet hatte.
Auch Serafina musste ausatmen. Sie sah ihm in die Augen, ohne etwas zu sagen. Das sanfte Rot der untergehenden Sonne spiegelte sich in den Gesichtern der beiden jungen Menschen, die sich hier gerade gegenüber saßen.
„Kommt mir vor wie eines dieser Märchen“, sagte Serafina sanft. „Vielleicht bist du der kleine Prinz, der viele Abenteuer bestehen musste, um seine Prinzessin…“
Sie legte sanft die Hand auf eine Locke an seiner Schläfe. Grensel fühlte eine magische Kraft, die von seinem Herzen ausging. Es war der erste Kuss für beide. Und vielleicht der schönste der gesamten Welt.
Am nächsten Morgen musste Pedro nicht mehr lange nach dem Weg fragen. Ein funktionierendes Navigationssystem hatte er zwar immer noch nicht, aber Serafina hatte ihm den Weg gewiesen und nun wusste er genau wo er hin musste. Dies wäre der Moment gewesen, alle Koffer zu packen und mit den Eltern nach Hause zu fahren. Aber gestern spät hatten Jan und Pedro über das großen Netz der Welt im Filmchen miteinander gesprochen und vereinbart, dass die beiden Kinder noch ein paar Tage auf dem Hof bleiben wollten. Es war die Entscheidung der jungen Frauen. Hete wollte Bäckerin werden. Und Serafina musste sich ja schließlich um Grensel und das alte Baumhaus am See kümmern, in dem sie früher einmal gewohnt hatte… Also kam Pedro mit einem Koffer und sie wollten sehen, was den beiden noch passte.
Es fühlte sich an, als hätten sie schon immer hier gewohnt. Der Hof hatte eine Gästewohnung, und in dieser konnte nun auch Pedro bleiben, um seinen Kindern nah zu sein. Wozu brauchte er den magischen Knochen? Er hatte seine Kinder wieder um sich, das war alles was er brauchte.
Und er musste er sich nicht groß um beide kümmern. Hete konnte Karina zeigen, wie sie von Kräutern und Wurzeln im Wald gelebt hatten und brachte die Bäuerin damit auf neue Ideen für ihr Geschäft. Denn Hete hatte so eine reine Haut, dass es eine Freude für jede Frau war und vielleicht konnten sie damit ganz viel Geld machen.
Grensel hatte sich Hammer und Säge genommen, Serafina einen Spaten über der Schulter. Das alte Baumhaus war nur ein Teil der Erinnerung, vielleicht konnte man am See doch endlich das Bad bauen, dass sie sich schon immer gewünscht hatte. Die Baumeister machten sich auf den Weg.
Pedro hatte ein schlechtes Gewissen, immer noch. Und er machte sich Gedanken um die Zukunft. Für die nächste Zeit hatte er genug Geld, aber was sollte er mit seinem Leben anfangen? Er war Baumfäller, er war arbeitslos, aber womit sollte er in Zukunft Geld verdienen? Der Verkauf der Schuhe hatte ihn neugierig gemacht, vielleicht würde er in Zukunft auch andere Dinge über das große Netz anderen Leuten zeigen und die würden diese Dinge kaufen. Aber was für Dinge? So ging er über den Hof, denn bald sollte es etwas zu Mittag geben. Mit Brot der neuen Bäckerin Hete.
Eine Frau, etwas jünger als Pedro, fuhr mit ihrem Rad mit den breiten Reifen auf den Hof. Pedro hatte sie gestern schon gesehen, aber er hatte seine beiden Kinder so geherzt, dass er diese Frau nur schemenhaft wahrgenommen hatte. Er ging zu ihr hin. Paulina begrüßte ihn mit einem Lachen. Sie fragte ihn, wie es ihm ginge.
Doch es blieb nicht bei einem kurzen Gespräch. Schon nach ein paar Sätzen stellten sie fest, dass ihre Seelen verwandt waren. Pedro hatte den Job als Baumfäller angenommen, weil er etwas mit großen Pflanzen machen wollte und nicht nur mit kleinen Blumen. Paulina war schon als junges Mädchen gerne zwischen den kleinen Bäumen durchgelaufen und hatte dort gespielt. Als sie dann erwachsen war und ihr Mann die Ehe nicht mehr wollte und ihr die Arbeit im Büro nur noch eine Last war, hatte der Nachbar die Baumschule verkauft und suchte einen Nachfolger. Und die Nachfolgerin Paulina suchte nach jemandem an ihrer Seite, der ihr zur Hand gehen konnte und etwas davon verstand. Sie liefen aus dem Tor des Hofes und sie zeigte Pedro alles.
Als die Sonne tief über dem See stand, hatten sich dort mehrere Menschen versammelt. Jan hatte Stücke des Schweines, das vor wenigen Tagen sein Leben nicht freiwillig verlassen hatte, auf Spieße gesteckt und ein Feuer darunter gemacht. Das Holz dazu hatte Pedro gehackt und mit Paulinas Schubkarre an den See gefahren. Grensel hatte Tische und Bänke mit Serafinas Hilfe ans Ufer geschleppt. Auf dem Tisch stand die neue Kräuterbutter aus der Küche von Karina mit dem nächsten Brot, das Hete gebacken hatte. Niemand störte sie an diesem Abend, als die neue Familie bis tief in die Nacht feierte.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch Träume.
Thomas Berscheid
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