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Tsintskaro in der Küche: Ensemble Georgika in Köln

Thomas Berscheid über das Ensemble Georgika, das zu Gast in seiner Wohnung war

Als ich nach Köln zog, hatte Kate Bush mit „Running up that hill“ gerade einen größeren Hit im Radio. Die gesamte zweite Seite ihrer damaligen LP bestand aus einem einzigen Musikstück, dass über die Dauer einer halben Stunde den Traum einer Frau beschreibt, die nachts aus dem Ehebett schwebt, sich selbst beim Schlittschuhlaufen tot unter dem Eis sieht, eine Hexe trifft und um die Erde schwebt: „The ninth wave“. Darin der Gruß an die Erde, untermalt mit Aufnahme von Astronauten. Und einem britischen Chor im Hintergrund, der ein getragenes Lied in einer unbekannten Sprache singt.

Fast anderthalb Jahrzehnte später sitzen wir vor dem Fernseher, ein Film mit Pierre Richard, die „1001 Rezepte eines verliebten Kochs“. Der Film spielt im Georgien zu der Zeit, als die Sowjets die junge Demokratie im Jahr 1921 im Blut ertränken. Und dann dieses Lied. „Tsintskaro“.

Seitdem wusste ich, dass diese Lied nicht von Kate Bush geschrieben worden, sondern schon ein paar Jahrhunderte auf dem Buckel hatte und aus Georgien stammte. Hunderte Male hatte ich es gehört. In den folgenden Monaten bekam ich dann eine Menge CDs aus Georgien, und Tsintskaro gehörte wieder zu meiner täglichen musikalischen Kost.

Ein paar Jahre später erreichte uns die Nachricht, dass das Ensemble Georgika in Deutschland war, auf der Weinmesse in dieser großen Stadt nördlich von Köln. Sie hatten dort einen kurzen Auftritt und waren dann alleine gelassen worden. Einige von den Jungs kannte ich, denn sie hatten in Tbilisi auf unserer Hochzeit gespielt. Jetzt konnten wir uns revanchieren, konnten sie nach Köln holen und ihnen etwas anderes zeigen als die kahlen Wände einer Absteige in Düsseldorf.

An dem Tag kam ich von der Arbeit, das Wohnzimmer stand von mit Koffern und Reisetaschen. Der Geruch von gebratenem Huhn und Knoblauch waberte durch den Flur. Ein freudiges Wiedersehen. Wir machten eine Flasche Wein auf, das Essen kam auf den Tisch. Erstmal etwas für den Magen tun.

Und dann Tsintskaro in der Küche. Was ist ein Konzert von Springsteen direkt vor der Bühne, was ist es, wenn Bono einen auf die Bühne zerrt oder wenn einem der Kameramann vom WDR beim Auftritt von den Manic Street Preachers im Underground auf die Zehen steigt gegen dieses Glücksgefühl, wenn du dieses Lied, das dich zwei Jahrzehnte begleitet hat, plötzlich von professionellen Musikern präsentiert bekommst, am gleichen Tisch? Ich schloss die Augen, ich atmete leise, denn ich wollte nur noch genießen, wie Georgika da nur für mich sang. 

Wir zeigten ihnen Köln, zeigten ihnen diese Kirche, die viel jünger ist als viele Kirchen in Georgien. Die Musiker stellten sich in den Innenhof des Stollwerck und probierten aus, wie es sich in dieser Akustik spielte. Geld verdienen auf der Straße war so einfach nicht  möglich. 

Viele Georgier kommen nach Deutschland, um Autos für den Export zu kaufen. Wir gingen am Rheinufer entlang und zeigten unseren Gästen, wo die Fords entstehen, die dann 12 Jahre später nach Georgien gingen. Wir stellten uns so hin, dass das Schild von Ford im Eingangsbereich der Fordwerke genau zwischen uns war und wir alle mit dem Finger darauf zeigen konnten.

Wenige Jahre später saßen wir uns am Stadtrand von Tbilisi im Garten der Datscha eines Musiker gegenüber, tranken Wein und delektierten uns an über offenem Feuer gegartem Schwein vom Spieß. Mamuka, der Sänger, der in meiner Küche „Tsintskaro“ gesungen hatte, erzählte, wie sie einsam im Hotelzimmer saßen und welche Befreiung es war, als meine Frau kam und ihnen in Köln eine Heimat für ein paar Tage gab. Und ich beschrieb dieses Gefühl, dass ich hatte, als sie meinen Favoriten live spielten, nur für mich.

Aus dem Abendessen in der Datscha ist inzwischen ein langfristiges Projekt zwischen Sasa Mimonischwili von The Shin und Georgika geworden. Auch hier ist wieder ein Musikstück entstanden, dass sich in meinem Gehörgang festgefressen hat und das ich auf dem Weg zur Arbeit über Wochen hinweg in der Endlosschleife gehört habe.

Aber dieser Abend, als es Tsintskaro nur für mich gab, den werde ich mein Leben lang nicht vergessen.

P.S.: Im Underground war es nicht nur brüllend heiß und ich trank den schnellsten Becher Bier meines Lebens. Dank des Kameramanns konnte ich die Preachers jetzt endlich auch auf der Bühne sehen, was mir im Underground nicht vergönnt war.