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Virusgeschichten von Thomas Berscheid

Corona hält uns in Atem. Ein Thema, über das selbst ich keine Witze mache. Ich habe zwar das Glück, dass ich seit einem halben Jahr im Home Office arbeite. Aber in meiner Familie gibt es derzeit einige angespannte Situationen und die Zahl der Toten steigt rapide an…

Die richtige Zeit also, um der Krise entgegen zu treten. Stellen wir uns Folgendes vor: Wir versetzen uns in die Lage eines Virus. Wie lebt er (oder es!) in dieser Zeit? Über dieses Thema habe ich mir Gedanken gemacht.

Die Geburt des Virus

Es war einmal ein süßer, kleiner Virus. Er erblickte sein Leben in einem Land, das groß war, das eine große Mauer hatte und in dem viele Menschen fleißig arbeiteten. Tagein, tagaus gingen sie in die Fabriken, standen dort an bewegten Bändern. Sie schraubten kleine Gegenstände zusammen, mit manchen von ihnen konnte man telefonieren, mit anderen spielten Kinder, und wieder andere gaben Töne von sich. Ja, es war ein großes Land. Aber die Welt dieser Menschen, die dort jeden Tag in die Fabriken gingen, die war eng. Wenn sie in die Fabriken gingen, dann schoben sie sich eng aneinander vorbei, dann kamen sie sich nahe, ganz nahe.

In dieser Welt, die bestimmt war von Arbeit und engen Berührungen vieler, sehr vieler Menschen, erblickte das kleine Virus das Licht der Welt. Es war noch nicht lange unter den Lebenden, da wähnte es sich im Paradies! Denn was konnte es Schöneres, konnte es Besseres geben für solch ein kleines Virus als viele Menschen, die erschöpft und müde abends in den Bahnen und auf den Straßen nebeneinander standen oder gingen? Genau dies dachte sich auch das Virus!

Und so wuchs es, so gedeihte es! Denn das Virus suchte sich einen Menschen aus und nahm ihn als Gastgeber. Es drang in die Lunge ein, und dort fühlte es sich noch paradiesischer als im Paradies! Mit Wonnen klopfte es an die Membran einer Zelle, die den Menschen Luft in das Blut pumpen ließ, und bekam Einlass, denn die Antikörper hatten noch keine Ahnung davon, dass dieses Virus ein gefährliches Virus war! Und so schwelgte das Virus im Paradies, löste sich in seine DNA auf und befahl der Zelle, viele, ganz, ganz viele Kopien von sich anzufertigen! Und kaum war die erste Zelle erschöpft von diesem Tun, kaum wand sie sich im Todeskampf, da nahm das Virus den Weg zur nächsten Zelle, zusammen mit vielen Tausend Brüdern und Schwestern, und setzte dort sein Wesen der Vervielfältigung fort.

Und was tat der Mensch, den das Virus gar nicht gefragt hatte, ob es ihn als Gastgeber benutzen durfte? Dieser Mensch stieg in eine Bahn, ihm ging es gar nicht gut. Er hustete, er schnaufte, er schauderte, irgend etwas stimmte nicht mit ihm. Was er nicht wusste: Mit jedem Husten, mit jedem Niesen strömten Dutzende, ja Hunderte von Brüdern und Schwestern des Virus in die Luft und verteilten sich in der Bahn. Ha, auch sie alle waren nun im Paradies! Sie drangen in andere Menschen ein, in andere Lungen, und dort zerfielen sie und zwangen die Zellen, weitere Kopien von ihnen zu erzeugen.

Stunden vergingen, Tage vergingen, da fühlten sich viele Menschen, die in dieser Bahn gefahren waren, unwohl. Da mussten sie Husten, da fühlten sie sich im Morgen beim Aufstehen, als müssten sie sich gleich wieder hinlegen. Und da wurde ihnen warm von innen, nein nicht nur warm, da wurde ihnen heiß, denn sie bekamen Fieber.

So breitete sich das Virus also mehr und mehr aus. Und es dachte nicht, es fühlte nicht, es hatte keinen Plan, keine Taktik und keine Strategie. Aber es war dabei, die Erde unter seine Kontrolle zu bringen.