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1. Kapitel: ein Büro voll mit Blut und Hirnmasse

Sam Spade, die DDR und der Müll

“Scheiße!”

Ein unfeines Wort entströmt dem Munde unseres Helden. War das denn nicht genug heute? Im Büro hatten drei Bullen eine ganze Stunde lang das Inventar durchwühlt, unter dem Vorwand, nach Rauschgift zu suchen. Erst als Sam sich an das Telefon gehangen hatte und Inspektor Parsons persönlich vorbeisah, ließen die Bullen davon ab, den Schreibtisch in seine einzelnen Bestandteile zu zerlegen. Dabei kam es zu dem Zwischenfall, der Sam veranlasste, mit auf das Polizeipräsidium zu kommen: Der jüngste der drei Polizisten hielt den Inspektor für einen Einbrecher oder wen weiß auch immer, wollte ihm mit dem Beil, das er Sekunden zuvor noch in den Schreibtisch gegraben hatte, den Schädel spalten. Aber - der altgediente Bulle war schneller, wich dem Hieb aus, das Beil grub sich in den Türrahmen ein, Parsons zog seine Pistole und feuerte ein ganzes Magazin durch den Jungbullen hindurch. Schade, damit war das ganze Büro voll von Blut, Gedärmen und Hirnmasse, und es wird Tage dauern, bis sich der Gestank verzogen hat. Schade auch, dass Parsons Ärger mit den Vorgesetzten hat, weil er einen Kollegen erlegt hat.

So spielt das Leben! Jetzt stehe ich hier in der Tür und habe die zweite Leiche des heutigen Tages. Oder sind es zwei? Sam macht Licht. Er ist es gewohnt, diesen Anblick von zerfetzten Menschen, aber in der eigenen Wohnung ist das etwas Anderes als auf freier Schießbahn. Könnte ja noch einer hier sein... Also Vorsicht, Alter! Leise schleicht Sam, sich an der Wand entlang drückend, in Richtung des Badezimmers. Drückt die Tür auf, sieht um die Ecke, tastet sich in das Bad hinein, auch die Dusche ist O. K., kein Mensch drin. Küche? Auch hier schleicht er sich hinein, sieht in die Schränke hinein, der Kühlschrank ist voll, aber kein Mensch drin, auch nicht in Einzelteilen. Schließlich das Wohnzimmer - er wirft einen Blick durch den Türrahmen, geht langsam hinein, die Pistole nach vorn gerichtet, sichert zu den Seiten hin. Ein Geräusch! Blitzschnell dreht Sam sich um, richtet seinen 45er Colt auf den Teil des Zimmers, aus dem er etwas gehört hat. Aber dann - er lässt die Knarre sinken, das war seine Katze.

Der nächste Gedanke, der ihn durchfährt, ist der an einen Schluck. Mit geübtem Griff öffnet er die Klappe seiner Hausbar, zieht die Flasche Dimple heraus, gießt ein Glas voll und trinkt es halb leer. Er fühlt das 40%ige Vergnügen die Kehle hinunterrinnen, genießt für ein paar Sekunden die Wärme, die sich im Magen breitmacht, und wendet sich dann dem Mann zu, dessen Einzelteile im Flur liegen.

Was wollte der Typ eigentlich hier? Sam hat keine Ahnung, sie haben vorhin kein Wort miteinander gewechselt, dazu war keine Gelegenheit mehr. Das Einzige, was Sam gesehen hatte, war das Aufblitzen des Laufes einer Pistole, als er seine Wohnungstür öffnete. Und er schoss sofort, nachdem der Mann versuchte, ihn am Ärmel zu fassen, die Knarre an den Kopf zu setzen und in seine Wohnung zu ziehen. Es gab keine Gegenwehr, Sam ist ein schneller und guter Schütze. Aber was jetzt? Parsons anrufen? Nä, der hat wegen dem abgeknallten Bullen schon genug Ärger. Und Du sitzt selber zu sehr in der Scheiße, als dass Du dir noch Ärger mit den Bullen einhandeln könntest. Ne, ne, ne, alles Nix!

Rüber zu dem Typen. Sieht zum Kotzen aus, gut, dass ich den Whisky getrunken habe. Der Kopf ist zur Hälfte weggerissen, eine Kugel, Weichmantelgeschoss, ist von vorne in den Schädel eingedrungen, hat sich in der weichen Hirnmasse aufgebläht, die Schädeldecke weggerissen und mit dem Hirn den Schädel verlassen. Ekelhaft! An der Garderobe hängt eine blutige, weiße Masse. Aß ein Mensch damit denken kann... Die Brust hat zwei Einschüsse abgekriegt, Teile der Lunge liegen vor der Küchentür. Du bist rein gelatscht, Du hast den Dreck bis vor dein Bett geschleppt. Warum hast Du nicht besser aufgepasst? Jetzt kommt Timo auch noch an, kein Wunder, der hat den ganzen Tag noch nix gefressen, nur faul rumgelegen, jetzt hat er Hunger. Mensch Kater, fang nicht an, den Typen anzuknabbern! Oh Mann, von wem hat er das nur, er setzt sich vor die Leiche, riecht daran, rupft ein Stück der Muskel aus dem Rücken und schlingt das Menschenfleisch hinunter. Alter, so geht das nicht! Sam geht zu seinem Kater, nimmt ihn auf den Arm, versucht, nicht in das Blut zu treten, und trägt das schwere Tier in die Küche, setzt ihn auf der Spüle ab. Öffnet eine Dose Katzenfutter, füllt sei­nen Napf und lässt seinen Lebensgefährten fressen. Mein Gott, ist der abgefuckt!

Sam streicht seinem Kater über den muskulösen Rücken. In den letzten Jahren hatten sie sich aneinander gehöhnt, nachdem Sam das Tier bei sich aufgenommen hatte. Eine Klientin hatte sich als führendes Mitglied einer Kette von Heroindealern erwiesen, war von der Polizei erschossen worden, und er hatte ihr Haustier aufgenommen, den hungrigen kleinen süßen Kater, der herzerweichend in der Wohnung maunzte. Der knallharte Privatdetektiv Sam Spade hatte Mitleid bekommen, den Kater mit zu sich genommen und aufgezogen. Schnell hatte er zugenommen, war bis auf 9 Kilo gekommen, kaum Fett, alles Muskeln. Sollte er das Riesenvieh in andere Hände abgeben? Sam hatte es nicht übers Herz gebracht, und dann diese Nacht vor 2 Jahren. Er schlief, tief und fest, den Kater neben sich, als leise ein Dietrich die Tür öffnete und ein Killer in die Wohnung trat. Timo wachte auf, fiel über den Killer her, und Sam konnte den Mann überwältigen, nachdem er durch dessen Geschrei wach geworden war, und schlug ihn bewusstlos. Auf der Wache hatte man Schwierigkeiten, den Typ zu identifizieren, Timo hatte sein Gesicht vollkommen demoliert, die Nase hing herab, tiefe Schürfwunden an den Wangen, ein Auge zerstört. Der Killer hat nie mehr in seinem Leben eine Katze angefasst.

Das Telefon. Du kannst die Leiche nicht alleine wegschaffen, das glaubt dir kein Mensch, dass das Notwehr war! Sam greift zum Hörer, denkt nach. Wer kann ihm helfen? Kottan! Ja! 

Sam wählt die Nummer.

“Kottan? Bist Du dran?”

“Ah ne, hier ist seine Freundin. Kottan ist in der Kneipe, saufen.”

“Wie lange? Wann kommt er wieder?”

“Weiß ich nicht. Interessiert mich auch nicht, ist mir egal. Und wenn er kommt, dann wird der nix mehr schnallen, dann ist der voll besoffen.”

"Mist." 

“Genau.”

"Okay, er soll mich zurückrufen, wenn er wieder nüchtern ist."

***

Sam legt auf. Echt Scheiße, immer wenn man den Typ braucht, ist er nicht da! Was jetzt? Fieberhaft denkt unser Held nach, die Leiche muss weg, soviel ist klar. Aber wohin? Mit wem sie wegschaffen? Während Sam mit dem Aufnehmer die Bruchstücke des Toten in den Ausguss schöpft, überlegt er, wer ihm dabei helfen könnte, aber es findet sich kein Mensch, dem er dabei vertraut. Also, es hilft nichts, als er den Boden von Blut und Hirn gesäubert hat, nimmt er den Hörer von der Gabel und ruft Parsons an.

“Spade? Was ist los, verdammt noch mal?”

“Ich hab' 'ne Leiche, Inspektor.”

"Das weiß ich. Wegen dem Kollegen hatte ich heute schon genug Ärger."

“Parsons, Sie haben mich nicht richtig verstanden - ich hab' 'ne neue Leiche, hier in meiner Wohnung!”

“Was?”

“Sie haben gehört, ich hab' 'nen Typ abgeknallt, der mich in meiner Wohnung umlegen wollte.”

“Wann?”

“Vor 10 Minuten.”

“Scheiße. Spade, bleiben Sie, wo Sie sind. Ich komme sofort.”

***

Der Inspektor knallt den Hörer auf die Gabel, der hat's aber eilig, denkt Sam. Na, der wird in 20 Minuten hier sein, Zeit genug, die Flasche in den Rachen zu kippen. Sam geht an seine Bar, setzt sich auf den Sessel davor und gießt sich einen Dimple ein.
 

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