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Zahlenspiele: magische Zahlen der KVB bei Bus und Bahn

Die Welt der Zahlen ist eine gewaltige. Um so mehr bekommen Zahlen eine Bedeutung, wenn sie in Zusammenhang mit öffentlichen Verkehrsmitteln stehen. Hier ein paar Beispiele aus Köln. 

Die magischen 2 KVB Minuten

Albert Einstein hat seine beiden Teile der Relativitätstheorie vor rund 100 Jahren zu Papier gebracht. Seitdem wissen wir, dass Zeit keine unveränderliche Konstante ist, sondern durch andere Kräfte verändert werden kann. Wer in Köln wohnt, kennt eine praktische Anwendung der Zeitdehnung. Es sind die magischen Minuten der KVB, vor allem die 2 Minuten, die auf eine Anzeigetafel zu sehen sind. 

Sehr gut beobachten lässt sich dieser Effekt der praktischen Anwendung der Theorie der Zeitdehnung am Wiener Platz. Dieser stark frequentierte Umsteigepunkt der KVB, an dem man die Abgründe menschlicher Existenzen eindrucksvoll jeden Tag beim Saufen sehen und ihren ewig gleichen Mustern hirnfreier Kommunikation lauschen kann, verbindet eine Reihe von Bus- und Bahnlinien. Von dieser falschen Seite des Rheins winkt, wenn man unten in der Röhre steht, die rettende Linie 13, die einen nach Nippes oder in die Nähe der früheren Wohnung bringt. Erwartungsvoll stürzt der zahlende Fahrgast also die ewig kaputte Rolltreppe herunter, tritt sich den Weg durch seditierte Fleischbrocken und Smombies frei, um festzustellen, dass die 13 in exakt diesem Moment die Türen schließt und genau eine Tausendstelsekunde vor Erreichen der Tür abfährt. Natürlích war diese Bahn auf die Nanosekunde pünktlich. Auf der Anzeigetafel ist keine Bahn zu sehen, denn hier wird nun alles mögliche angezeigt, jedoch nicht die nächste Bahn. 

Der zahlende Fahrgast geht also nun in einen rauchfreien Teil des Bahnsteigs und linst ab und an, ob auf der Tafel eine 13 erscheinen möge. Und tatsächlich, als mehrere Bahnen der Linie 18 durch sind, erscheint tatsächlich die frohe Botschaft, dass in 7 Minuten eine Bahn der Linie 13 kommen möge. Oh Halleluja! Die Rettung scheint so nah! So beginnt nun also der Countdown der KVB. Jede Minute linst man einmal durch den Rauch von Cannabis zur Tafel, lauscht der Stimme, die in weiter Ferne irgendetwas ankündigt, was man aber nicht verstehen kann, weil im rauchfreien Teil nur die Durchsagen der Gegenrichtung angesagt werden, und wartet sehnsuchtsvoll auf die Rettung. Dann plötzlich, bei einem neuen Blick durch den Rauch, schiebt sich eine Linie 18 dazwischen. Nun, mag sich der unerfahrene Erstbenutzer denken, nach der Anzeige der 3 Minuten kommt bestimmt gleich die rettende Bahn. Dann geht die Anzeige auf 2 Minuten. 

2 Minuten. Zwei Minuten in Worten, in der Welt der KVB! Eine Zeitspanne, so dehnbar von einer Nanosekunde bis hin zu der Zeit, die seit dem Urknall vergangen ist. Nun beginnt die Zeit der Ungewissheit. Wird die Bahn noch kommen, bevor die Erde von der Sonne als Rotem Riesen verschlungen wird? Sie wird kommen, dass ist so sicher wie die Tatsache, dass die AfD immer Recht hat. Aber wann? 

Die Zeitdehnung lässt sich nun physisch erfassen. Die Beine werden schwer, viel schwerer als nach einer Alpenetappe mit dem Mountain Bike ohne Hilfsmotor. Die Füße werden erst kalt und sind dann nicht mehr zu spüren. Die Zeit der Ungewissheit hat begonnen: Lohnt es sich, ein Schläfchen zu machen oder einen ganzen Roman zu schreiben, bis die Bahn kommt? Oder wird sie in der nächsten Sekunde ohne Vorwarnung in den Bahnhof stürmen? 

In der Zwischenzeit werden mehrere Bahnen der Linie 18 angezeigt, deren Zeit kontinuierlich durchläuft, ohne von unbekannten Kräften gedehnt zu werden. Bei der 13 steht unverändert „2 Minuten“. Man wartet und wartet also. Die Beine sind inzwischen taub geworden, doch die Bahn kommt nicht, und die 2 Minuten stehen immer noch auf der Tafel. 
Doch dann, von einer Sekunde auf die andere, nimmt es einem den Atem, ein dicker Schwall mit Schmieröl geschwängerter Luft drückt aus der Tunnelröhre und bläst magersüchtige Menschen zu Boden. Ein letzter Blick auf die Anzeigetafel sagt: Es sind immer noch 2 Minuten! Ist dies eine russische Rakete, die den Angriff unseres Feindes Putin zur endgültigen Ausrottung des deutschen Geistes bedeutet? 

Dann plötzlich, im Verlauf einer Nanosekunde, schaltet die Anzeige erst auf „1 Minute“, dann auf „Sofort“, und tatsächlich stürmt nun eine 13 in den Bahnhof. Und vielleicht werden auch nun die Beine den Befehlen des Hirns gehorchen und in den Sprint einstimmen, den der zahlende Fahrgast jedes Mal hinlegen muss, um in einer Zeitspanne  die offene Tür zu erwischen, die sich öffnet und schließt, die schneller ist als ein Kolobri einmal mit dem Flügel schlägt. 

Und wenn der zahlende Fahrgast dann zu Hause liegt, nach einer unbestimmten Zeit, die die 2 Minuten der KVB darstellen, also vielleicht auch erst nach der Entstehung eines neuen Universums, dann wird er über Sachverhalte der Physik nachdenken, die er jeden Tag erlebt. Und er wird ehrfürchtige Tränen vergießen ob der angewandten Physik, die er jeden Tag in der KVB erleben kann. 

Das 127er-Parodoxon

Wenn man an einem bestimmten Ort wohnt, dann bekommen Zahlen eine geographische Bedeutung. In diesem Fall sind es Bahn- und Buslinien, die einen fast von der Haustür bis zu einem Ort bringen, am dem man umsteigen, die Richtung wechseln oder ein gutes Werk verbringen kann, so wie zum Beispiel ein Kölsch zu trinken. In einer früheren Wohnung war dies die Linie 127. 

Wir wohnten seinerzeit in Bilderstöckchen, ein Stadtteil in Köln, der zu Recht als asozial bekannt war und mit dem Jahren gentrifiziert wurde. Die S11 bringt mich auch heute noch dem Dom näher. Eine direkte Verbindung in die Kölner Innenstadt gab es nicht. Dafür gab es die Buslinie 127, die mich oft nach Nippes brachte oder mir den Weg nach Hause abkürzen sollte, weil die S-Bahn einmal mehr nicht bis zu uns fuhr, sondern in Nippes ihren Geist aufgab. 

Und wie es so ist mit einer Bahn: In Köln fahren viele Verkehrsmittel im 10-Minuten-Takt. Das bedeutet, dass alle Bahnen so vertaktet sind, dass ein Anschluss gerade mindestens 3 Sekunden weg ist, man die Rücklichter noch sieht und mindestens 10 Minuten Wartezeit hat, meistens aber mindestens 15, oft auch mehr als 20 Minuten. Dies galt natürlich auch für die Linie 127. Wenn ich 1 – 2 mal die Woche in Nippes ausstieg, stand dort oft ein zweistelliger Minutenwert für die Wartezeit. Da es 12 Minuten bis zum Haus waren, bin ich die Strecke also oft zu Fuß gegangen, nur um dann nach wenigen Metern von dem Bus überholt zu werden, der eigentlich erst in ferner Zukunft eintreffen sollte. 

So nahte dann der Tag des Umzugs. Es verschlug uns von Bilderstöckchen weitere 4 km in den Kölner Norden. Eine Strecke, die zum Teil auch von der Linie 127 zurückgelegt wurde. An diesem Tag fuhr ich diese Strecke ungefähr ein halbes Dutzend Male, um die Kosten für die Spedition zu senken. 

Und siehe da: Bis auf eine Fahrt biege ich auf die Straße ein, und vor meiner Nase, langsam und nicht überholbar, ein Bus der Linie 127. Fast jedes Mal, egal in welchem Zeitfenster ich aufgebrochen war, erschien nun eine 127 und baute sich breit vor mir auf. Plötzlich schien es Hunderte, Tausende, Millionen von Bussen der Linie 127 zu geben, die nicht alle 10 Minuten, sondern mindestens alle 10 Sekunden, wahrscheinlich sogar mehrfach pro Sekunde durch den Kölner Norden fuhren. Und nicht nur in einer Richtung. In Gegenrichtung war es der gleiche Effekt! 

Wo aber waren diese Millionen von Bussen, als ich frierend zwischen den Rauchern und in der Schusslinie der Tauben in Nippes unter der Bahn stand und auf den 127er wartete? Haben sie im geheimen Depot der KVB damals Busse gebunkert, die sie alle auf die Reise geschickt haben, gerade an dem Tag, als ich mitten im Umzug war? 

Ich werde es nie erfahren. In den heutigen Tagen sehe ich die 127 oft an ihrem Ende in Longerich. Oft sehe ich auch die Wartezeiten von Stunden, die den 10-Minuten-Takt bekräftigen. Wahrscheinlich haben sich die Millionen an Bussen inzwischen in Luft aufgelöst. Das 127er-Paradoxon jeweils wird mir immer ein Rätsel bleiben.