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Der Weg zur Arbeit: Unverlangt eingesandt

In den 1990er Jahren habe ich dem Kölner Stadtanzeiger für die Rubrik “Unverlangt eingesandt” einen Artikel geschickt: Der Weg zur Arbeit. Dieser ist dann auch tatsächlich im KStA erschienen. In den 90er Jahren war man ja fast noch ein Exot auf dem Bike in Köln. Das hat sich zum Glück in der Zwischenzeit gewandelt. Wirklich angenehmer geworden ist das Radfahren in Köln nicht unbedingt. Hier also das tägliche Event auf dem Weg von Nippes aus an den Hansaring.

Artikel von Thomas Berscheid für den Kölner Stadtanzeiger

Morgens, der Schlaf steht einem noch in der Augen, gilt der erste Blick dem Kaffee. Ist ja nicht so schlimm, abends kein Bier mehr auf der Bude zu haben. Aber morgens ohne Kaffee? Undenkbar.

Die ersten Entzugserscheinungen sind also bekämpft. Der Tuner bringt irgendwas musikalisch interessantes, bis zu den Nachrichten kann ich auch noch warten. Wie gut, dass ich erst gegen 10 im Büro sein muss. Wie gut, dass wir einen Fahrradkeller haben. Jeden Morgen dieses Vergnügen, zwischen 3 grundverschiedenen Rädern wählen zu können.

Also, die Rollos hoch. Der zweite Blick am Morgen gilt dem Wetter. Kein Regen? Da nehme ich doch heute das Mountain Bike. Gut, dass ich die Slicks aufgezogen habe. Gut, dass ich die Kiste auf 11 kg abgemagert habe. Jeden Tag drei Etagen rauf und runter, da spürst Du jedes Kilo zu viel. Auch an dir selber, deshalb fährst Du ja Rad…

Der Weg jeden Morgen ins Büro, von Nippes in die Innenstadt, das ist das wahre Leben. Viel aufregender als jeder Film, als jeder Game Boy. S-Bahn-Surfen? Bungee-Jumping? Alles nicht so aufregend wie der Thrill jeden Morgen. Der Autoverkehr sorgt schon dafür.

Raus aus der Tür, ist das Wetter inzwischen umgeschlagen? Zwischen den Verdauungsendprodukten der Hunde, die in den umliegenden Häusern wohnen, durch zur Merheimer Straße. Kein Auto und kein Hund in Sicht. Rein in die Pedale, den linken Riemen festgezogen, runter von der Bordsteinkante und Gas.

Die nächste Ampel ist grün, heute mal Glück gehabt. Über den Merheimer Platz, Baustelle, die Stadt hat wieder einmal die Radfahrer in der Planung vollkommen vergessen. Wettrennen mit den Autofahrern, die nicht schnell genug zur Inneren Kanal kommen können. Werde ich's heute schaffen? Oder wird mich heute wieder einer himmeln? Kurz vor der Ampel auf 40 Sachen beschleunigt, dann kommst Du im fließenden Verkehr mit. Dann die Krefelder runter, Radweg auf dem Fußweg, zugeparkt, Fußgänger, aussteigende Autofahrer, Müllcontainer. Rein in die Maybachstraße, Vollbremsung, Lkws aus dem Mediapark auf der Gegenspur. Warten am Cinedom, lange Warten, da schleudert wieder einer in die Tiefgarage, das ist was für's Auge. Die letzten 100 m enger Radweg, ausrollen, ein Radfahrer vor mir macht den Brecher, der fängt heute alle Autotüren ab.

So sieht der alltägliche Thrill im Kölner Stadtverkehr aus. War das doch langweilig, früher auf dem Dorf, mit dem Auto. Da weiß man doch gar nicht, was man an menschlichen Kontakten und Reizen des Alltags verpasst... Manchmal stelle ich mir die Frage, warum die Kids sich an Brückengeländer ranhängen oder aus der Tür der Bahn. Das wahre Abenteuer liegt direkt vor der Haustür…

Wenn ich dann am Rechner sitze, zittern mir wieder die Finger. Die gerade Lenkstange ist vielleicht doch nicht das Richtige, aber daran gewöhnt man sich. Später, wenn das Schwitzen dann nachgelassen hat, wenn der Durst drängt, ist es Zeit, den Kollegen etwas Gutes zu tun und eine Kanne Kaffee aufzuschütten. Und ein paar Stunden später, wenn die Rush Hour durch die Straße dröhnt, wenn die Krankenwagen der Ozonwerte wegen im Dauereinsatz fahren, dann freust Du dich schon auf den Weg nach Hause. Was gibt es dann zu erleben?