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Radsport Psychologie

Wenn der Hometrainer das Hirn mit Glück durchflutet

Thomas Berscheid | 04. Juni 2024

Ungefähr 4mal die Woche sitze ich auf dem Hometrainer – eine Spinning Maschine, mit 23 kg schwerem Schwungrad, Riemenantrieb und recht verschleißarmer Bremse. Knapp 2 Meter vor dem Hometrainer steht ein 55 Zoll Fernseher. Mit dieser Kombination bekommt das Schwitzen auf dem Bike eine andere Dimension, denn man entschwindet in Welten, die zwischen Sauriern und dem James Webb Teleskop liegen. Aber das ist eine andere Geschichte. 

Was mir heute wichtig ist: Nach einer fast genau 8 Jahre währenden Sportpause habe ich mich August 2017 wieder auf die Spinning Maschine begeben. Wenige Monate nach dem Neustart hat die erste Maschine ihren Geist aufgegeben. Die zweite Maschine hat 5 Jahre gehalten, die Flut 2021 überlebt, aber bei ihr ist auch die Sattelstütze nach hinten ausgebrochen, wie bei den Maschinen zuvor. Und das, obwohl ich dank der Maschinen mein Gewicht auf weniger als 100 Kilo senken konnte. 

Von den Zahlen und der Geschichte aber nun zum Geist und den Muskeln. Wenn man auf die Kiste steigt, erlebt man verschiedene Phasen. Die ersten Minuten fährt man sich warm. Das ist nichts Besonderes, auf dem Trainer zählt man die Minuten, die es noch sind, vielleicht blickt man auf das Programm, wann die erste Pause anliegt. Die Oberschenkel wollen die ersten Sekunden so richtig loslegen, der Hintern fragt, ob das denn wirklich sein muss. „Och nö, schon wieder?“ scheint der Körper im Ganzen zu fragen. „Halt die Fresse und quäl dich“, antwortet mein Hirn. Nach ungefähr einer Viertelstunde ist man warm gefahren und dann geht es. 

Zu Beginn des Jahres habe ich zwei Bücher von Paul Fournel gelesen. „Die Liebe zum Fahrrad“ enthält viele Kurzgeschichten über das Radfahren. Bei einer davon habe ich mir gedacht: „Ja, ja, das ist es, genau so!“ In dieser Geschichte beschreibt Fournel, wie er in jedem Sommer in Paris aufgebrochen und mit dem Rad in ungefähr 4 Tagen in sein Heimatdorf in die Cevennen gefahren ist. Er beschreibt, wie er jeden Morgen gegen die Müdigkeit in den Oberschenkeln kämpft und dann nach einer halben Stunde oder etwas mehr der Körper erwacht und das Radfahren von der positiven Seite sieht. 

Und das war genau der Punkt, an dem ich mich wiedererkannt fühlte. Denn was Fournel beschreibt, erlebe ich 4mal die Woche im Keller. Nach rund 40 Minuten kommt der Langstreckenmodus: Der Puls geht runter, die Atemfrequenz geht runter, man verringert das Schwitzen. Der Körper fällt in einen Tritt, den man nun vielleicht auch mehrere Stunden durchhalten könnte. Das Hirn flutet sich mit Hormonen. Egal was am Tag gelaufen ist, wie man beim Programmieren nicht voran gekommen ist oder was in der Politik für ein Driss gelaufen ist: Man sieht alles gelassen. Denn man hat den inneren Schweinehund überwunden und ist auf der Zielgeraden. 

Dieser Modus mit den Glückshormonen dauert auch nach dem Training noch einige Stunden an. Man hat so eine Bräsigkeit im Hirn, man hat eine sportliche Leistung erbracht, das Hirn ist mit Glück geflutet und zwei Stunden nach dem Ende des Tretens fällt der Biorhythmus in den Keller und man kriecht auf allen Vieren ins Bett. Alles, weil das Radfahren die Psyche zum Positiven verändert. 

Paul Fournel: Die Liebe zum Fahrrad

Das oben erwähnte Buch von Paul Fournel:

Die Liebe zum Fahrrad

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