Hanni und Nanni – das erste Kennenlernen

Heinrich Sobeck lernt die beiden Männer kennen, mit denen er Jahrelang zusammenarbeiten wird

I.

Der Arbeitstag sollte langsam seinem Ende zugehen. Ich hatte heute schon bestimmt 60 km in den Beinen. Und Kölner Stadtverkehr als Fahrradbote ist eine ganz andere Kiste als plattes Land am Niederrhein, wo außer dem Wind nur Hunde deinen Vorwärtstrieb einengen. Und zudem nicht gerade einer von den besser bezahlten Jobs, wenn deine Eltern nicht zahlen wollen.

Die letzte Tour führte mich nach Ehrenfeld raus, von einer Drogerie zu einem Fitnessladen an der Vogelsanger. Wahrscheinlich Amphetamine, mit denen sich ein Bodybuilder die Arme aufblasen wollte. So ein Zeug war mir in meiner aktiven Zeit als Radsportler natürlich nie unter die Nase gekommen. Bei uns gab es immer nur Vitaminpillen.

Ich fuhr im Grüngürtel ein paar Dackel über den Haufen, donnerte an der abgestellten Brunnenanlage vorbei und legte eine Linkskurve ein, um Richtung stadtauswärts zu kommen. Die Innere Kanalstraße war wie jeden Tag um 5 dicht, ich fuhr über die Vogelsanger, weil sie keinen Radweg hat und deswegen schneller war. Und sicherer.

Das Underground zog rechts an mir vorbei, ich blickte mich um und zog nach links rüber, in die Einfahrt des dreistöckigen Hauses, in dem die Muskeldrücker sein sollten. Ein Typ in einem Ford Probe wollte unbedingt schneller nach links als ich und drängte mich ab. Mein Vorderrad wimmerte, ich fuhr hinter dem Probe-Auto in die Einfahrt. Der Typ verschwand im Hinterhof. Das Dieter-Bohlen-T-Shirt wies ihn als sehr intelligenten Menschen aus.

Mein Bike landete an der Wand, das Schloß hielt es am Geländer fest, wütend rannte ich die Treppe rauf und landete an der Theke. Ich präsentierte die Drogen und kassierte die Gebühr. Neben mir stand der Typ mit dem Intelligenzbolzen auf dem Shirt.

„Fährt du immer so Scheiße?“ fragte ich liebevoll.

Keine Antwort.

„He, Du hast mich gerade abgedrängt“, insistierte ich weiter. „Warum findest du mich Scheisse?“

Keine Antwort. Der Typ nahm das Paket und riß die Verpackung auf. Das Zeug reichte für einen ganzen Bauernhof mit Rindermast.

„Du weist daß die Dinger impotent machen?“ fragte ich den Denker.

„Junge, verpiß dich von hier, sonst mach ich dir die Nase platt“, gab der Denker erstmals zur Antwort.

„Versuchs mal“, gab ich zurück, „Ich hab‘ auch nur einen schwarzen Gürtel“.

Der Typ sah mich jetzt an.

„Wenn du ein Duell willst, dann will ich das im Ring sehen“, forderte ich den Denker auf. „Oder bist du nur mit dem Mund gut drauf?“

„Du reist dein Maul zu weit auf“, antwortete der Denker, und ich sah, daß er meine Arme taxierte. „Kickboxen?“

Ich nickte dem Typen zu. Die Frau hinter der Theke wandte sich mir zu. „Junge, geh besser wieder“, sagte sie zu mir, „der ist Meister im Kickboxen. Gegen den hast du keine Chance.“

„Alles eine Frage der Einstellung“, sagte ich und ging zur Umkleide.

II.

„Hier kommt ein Großmaul“, sagte der Denker.

Ein Typ, so Mitte 30, Statur einen gemästeten Bullen, drehte sich zu mir um.

„Was willst Du?“ brummte mich der Bär an.

„Dieter Bohlen hat mich gerade fast gehimmelt“, antwortete ich. „Ich wollte ihm die Chance geben, mich auf die Matte zu werfen“.

„Bist du Kickboxer?“ brummte der Bär mich an.

„Hab mal gegen meine Katze geboxt“, antwortete ich.

„Wenn du dir hier die Knochen brichst, geht das auf deine Verantwortung“, sagte der Bär. „Du hast gegen Kicker keine Chance.“

„Handschuhe und Helm?“ forderte ich.

Der Bär zeigte auf die Wand, an der die Ausrüstung hing.

Ich zog mir den Helm für den Sparring und holte mir ein Paar Handschuhe von der Wand. Mir kamen die ersten Zweifel, ob ich den Mund einmal wieder viel zu voll genommen hatte. Mein vorlautes Mundwerk. Egal. Da mußte ich jetzt durch. Selbstzweifel hatten hier jetzt nichts zu suchen.

Ich stieg in den Ring. Dieter Bohlen stand schon da.

„Du liegst in 10 Sekunden flach“, grinste der Mann mich an, nun ohne T-Shirt.

Ich antwortete nicht. Unten sammelten sich ein paar interessierte Gesichter. Wir waren jetzt auf dem Präsentierteller.

„Bereit?“ fragte der Kicker.

„Jupp“, antwortete ich.

Kaum eine Sekunde später kam eine Rechte angeflogen. Ich nahm meine Deckung hoch und ging zur Seite weg.

Der Typ nahm seine Hand zurück. Ich sah den ersten erstaunten Blick in seinen Augen.

„Schnelle Reaktion“, sagte er und tänzelte zur Seite. „Was hältst du davon?“ sagte er und wollte mir in die Nieren treten. Ich parierte und schnellte nach hinten. Er streifte meinen Handschuh. Diesmal sagte er nichts.

Er schien noch unschlüssig, wo er mich einordnen sollte, als ich mich zu drehen begann. Mein rechter Fuß traf seinen Helm. Der Typ ging zu Boden.

„Waren das zehn Sekunden?“ fragte ich trocken. „Noch mehr davon?“

Dieter Bohlen blieb am Boden liegen und rieb sich die Lippe. Er zog sich den Handschuh aus.

„Du hast gewonnen“, sagte er.

Aus den Augenwinkeln sah ich, daß dem Bär der Mund offenstand. Allerdings waren aus dem einen Bär zwei geworden.

III.

„Willst du ein Bier?“ fragte mich der linke Bär.

„Keine Drogen jetzt“, sagte ich und schüttete mein Glas mit Wasser voll.

„Wie kommst du auf die Idee, gegen den Kicker in den Ring zu gehen?“ fragte der rechte Bär. „Das ist Selbstmord.“

„Ich neige zur Selbstüberschätzung“, sagte ich und breitete meine Lebensgeschichte in drei Sätzen vor den beiden aus. Meine Schulzeit mit den ersten Gangversuchen im Rad- und Kampfsport.

„Und Euch hat man geclont?“ fragte ich die beiden Bären.

„Das hat die Natur gemacht“, sagte der linke Bär. „Wir wollte eigentlich Bullen werden. Das hat zuerst auch geklappt, dann haben wir den Boß einer Mafia-Familie bei der Verhaftung etwas zu hart rangenommen.“

„Danach standen wir auf der Straße und haben den Laden hier übernommen“, sagte der rechte Bär.

Beide hatte mich nach der überzeugenden Demonstration im Ring gefragt, ob ich nicht für sie arbeiten wolle. Die Jobs in der Türsteherszene seien doch besser bezahlt und leichter zu machen, als sein Auskommen als Fahrradbote zu verdienen. Es gärte in mir. Bike Messenger ist zwar eine Berufung, aber Stadtverkehr war nicht mein Ding, mit dem Auto nicht und auch mit dem Rad nicht. Das Grundstudium würde mich noch wenigstens ein Jahr lang beschäftigen, und der kriminelle Ruf der Szene reizte mich. Es gab bestimmt ein paar interessante Einblicke.

Wie ich dann erfuhr, hatte ein älterer Bulle mit pubertierender Tochter beiden einen sehr treffenden Namen gegeben: Hanni und Nanni. Sie waren tatsächlich Bullen gewesen, nach mehreren Übergriffen gegen Schwerkriminelle, die gute Anwälte hatten, aber rausgeflogen. Die Sache imponierte mir. Schienen die Jungs entgegen ihrem ersten Anschein doch ein ähnliches Empfinden für Gerechtigkeit zu haben wie ich. Und genau so angeeckt zu sein, wie mir das in der Schulzeit schon gelungen war.

Am Wochenende hätte ich also nun meinen ersten Auftritt im E-Werk. War ja auch direkt um die Ecke. Und wenn mir dann einer blöd kam, durfte ich ihn verprügeln.