Der Autor: Fleisch für die Medien

Sind Schriftsteller in sich versunkene Gestalten oder Profilneurotiker?

I.

Die wievielte Talk-Show ist das jetzt eigentlich? Der Autor lehnte sich im Stuhl des Maskenbildners zurück und schloß die Augen. Bestimmt die zwölfte in diesem Jahr. Er versucht die Sender zu rekapitulieren, bei denen er seine Nase in die Kamera gehalten hatte. Ja, es mußte heute die Nummer 12 sein. Ein gutes Jahr, daß da hinter ihm lag.

„Etwas Rouge auf die Bäckchen?“ näselte der Maskenbildner von hinten. Dem Klischee nach waren alle Maskenbildner schwul. Da machte dieser süße Junge auch keine Ausnahme.

„Ne, lassen se mal“, nuschelte der Autor, der keine Lust hatte, seine Zunge jetzt schon zu verausgaben. „Ich mache heute Abend lieber einen auf Grufty“, setzte er hinzu.

„Ganz wie der Herr wünschen“, sagte der Maskenbildner mit einem harmonischen Schwung aus dem Handgelenk. „So, fertig.“

Der Autor sah in den Spiegel. Gerade war er Mitte 40 geworden, 5 Jahre hatte er soeben abgenommen.

„Vor dem nächsten Blind Date werde ich Sie engagieren“, sagte er.

„Jedem Tierchen sein Pläsierchen“, säuselte der Maskenbildner zurück.

Er stand auf und nahm seine Aktenmappe unter den Arm. Im Flur sah er sich ratlos um. Seine Redakteurin schien schon auf ihn gewartet zu haben.

„Kommen Sie mit“, sagte sie und nahm ihn unter dem Arm, „wir haben nicht mehr lange bis wir auf Sendung sind.“ Sie schleppte ihn in die Kantine des Privatsenders.

„Wie lange haben wir und womit wollen Sie mich löchern?“ fragte der Autor, während er Zucker in die Kaffeetasse schüttete. „Sie sind ein Privatsender. Da erwarte ich blutrünstige Informationen.“

Die Redakteurin lachte und warf ihre Haare zurück.

„Nein, Sie sollen mir nicht in allen Einzelheiten schildern, wie sie jemanden aufschlitzen“, sagte sie. „Ich möchte daß Sie uns erzählen, wie Sie zu ihren Personen finden und was man da von Ihnen wiederfindet.“

Die Frau weiß ja gar nicht, auf was für eine Frage sie sich da einläßt, dachte er nur kurz. Das kann heiter werden heute Abend.

„Ich soll also über die Geburt von Heinrich Sobeck erzählen?“ fragte er zurück.

„Uns reichen seine letzten 10 Lebensjahre bis heute“, antwortete die Redakteurin. „Sie brauchen nicht wie Sigmund Freud in der Kindheit anzufangen. Ich finde diese Geschichten aus seinem Studium sehr interessant. Die Geschichten mit den Bodyguards.“

„Das riecht nach Sensation“, sagte er und trank seinen Kaffee aus.

Es war nicht nur der Kaffee, der ihn auf den Porzellanthron jagte. Er hatte Lampenfieber, auch wenn das heute nicht sein erster Auftritt im Fernsehen war. Im Spiegel warf er noch einmal einen Blick auf die Pickel, die ihn seit seiner Pubertät nicht verlassen hatten, und auf die netten Falten um die Augen. Sollen ja bei Männern interessant wirken. Vielleicht sollte ich mir doch noch mal den Maskenbildner klemmen?

II.

Die Aufnahmeleiterin zählte die Sekunden bis zu seinem Einsatz. Der Autor klemmte die Aktenmappe mit dem Aufkleber seines Verlags und seines letzten Krimis unter den Arm, knetete seine Finger, wischte die feuchten Handflächen am Jackett ab. Er hörte, wie die Redakteurin Heinrich Sobeck vorstellte. Dann ging er lockeren Schrittes auf die Bühne. Mit einem Seitenblick nahm er die ganzen gefönten Gestalten wahr, die sich gerade einen 10-Euro-Schein als Publikum verdienten. Ein leichter Applaus huschte von den Händen herüber.

„Ist das Leben eines Autors wirklich so aufregend, wie man sich das vorstellt?“ fragte die Redakteurin.

„Boh“, begann der Autor, „Sie kriegen jeden Tag die Krise, weil alles so unglaublich aufregend ist! Ich frage mich zum Beispiel jeden Tag beim Hochfahren des Rechners, ob der Text noch da ist, den ich am Abend zuvor geschrieben habe.“

„Sie sitzen also viel im Büro?“

„Das Leben eines Autors für Kriminalgeschichten ist ungeheuer aufregend“, antwortete er. „Wie das eines Buchhalters. Aber während sich der nur in Gedanken ausmalt, wie er seinen Chef aufschlitzt, probiert man das als Autor schon mal gerne selbst aus. Warten Sie mal.“

Er hievte seine Aktentasche auf den Tisch. „Ich zeige Ihnen mal, wie der Alltag eines Autors wirklich aussieht.“

Er öffnete seine Mappe, nahm ein abgepacktes Stück Rinderbraten aus dem Sonderangebotes seines Supermarktes heraus.

„Sie haben sich bestimmt schon einmal gefragt“, sagte er, „wie man die ganzen Morde in einem Krimi plant. Die Zutaten dafür haben Sie in fast jedem Haushalt. Damit können Sie ihrer Phantasie freien Lauf lassen.“

Er riß die Kunststoffverpackung auf und kippte den Braten auf den Tisch.

„Zum Beispiel“, fuhr er fort, „eine Beziehungstat. Frau findet die Telefonnummer einer anderen Frau auf dem Laptop ihres Freundes. Sie will ihn umbringen und sticht mit dem Küchenmesser auf ihn ein, als er nach Hause kommt.“ Er holte ein Messer aus seiner Tasche. „Und jetzt können Sie sehen, welche Wunden dabei entstehen.“

Der Autor holte aus und donnerte das Messer in den Braten. Das Fleisch blieb an der Klinge hängen.

„Sie haßt ihn!“ Mit einem Knall donnerte der Braten auf den Tisch. „Er hat sie tief, ganz tief verletzt!“ Er zog das Messer aus dem Braten und donnerte die Klinge erneut ins Fleisch. „Sie rächt sich, sticht besinnungslos auf ihn ein, immer und immer wieder…“ Der Braten begann sich inzwischen in Geschnetzeltes aufzulösen.

„Bitte, Sie können“, setzte die Redakteurin an, die erschreckt die Hand vor den Mund geschlagen hatte.

„Und dann sieht sie, was sie angestellt hat“, sagte der Autor unbeirrt. „Sie hat aus ihrem Freund Hackfleisch gemacht. Die Konsistenz kann man dann in der Geschichte beschreiben. Wollen Sie mal probieren?“ Er schob den Fleischbrocken zu ihr herüber.

„Danke“, wimmelte sie ihn ab. „Ich bin Vegetarierin.“

„Ich weiß“, lächelte der Autor sie süffisant an.

III.

„Was fällt Ihnen ein?“ brüllte die Redakteurin den Autor nach der Sendung an. „Sie hätten die gesamte Einrichtung demolieren können! Ein ekelhafter Fleischbrocken auf dem Tisch!“ In ihren grünen Augen tauchten kleine Schwerter auf, die ihn zerstückeln wollten.

„In 20 Jahren werden Ihre Kinder Sie nach genau diesem Interview fragen“, entgegnete der Autor. „Wir haben gerade Mediengeschichte geschrieben. Auf diese Geschichte wird man Sie noch in Altenheim ansprechen.“

Er merkte, daß er ihr finanzielles Gedankenzentrum getroffen hatte. 30 Jahre Umgang mit Frauen schärfen die Instinkte.

„Sie haben in einem Interview zu Beginn der Reihe gesagt, daß Sie eingefleischte Vegetarierin seien“, legte der Autor nach. „Da brauchte ich nicht lange zu überlegen.“

„Wollen Sie das mit nach Hause nehmen?“ fragte die Aufnahmeleiterin mit dem zerstückelten Braten in der Hand.

„Danke“, winkte er Autor ab. „Ich trenne Beruf und Privatleben.“

IV.

Er stieg aus seiner Corvette aus und öffnete die Tür zur Wohnung. Deutlich hörte er das Klicken der Zentralverriegelung, als er sich mehr als drei Meter vom Auto entfernt hatte. Es war kurz nach Mitternacht, im Wohnzimmer brannte noch Licht. Auf dem Plasmabildschirm sah er seine eigene Nase.

„Papa, du bist ekelhaft“, begrüßte ihn seine Tochter, als er ins Wohnzimmer kam. „Bah. Abscheulich. Wie soll ich mich jetzt in der Schule blicken lassen?“

„Erstmal danke für deine netten, aufmerksamen und zuvorkommenden Kommentare“, lächelte er sie an. „Sag ihnen einfach, daß wir sechs Tage die Woche vegetarisch leben.“

„Wie hat Mama das eigentlich all die Jahre mit dir ausgehalten?“ fragte sie weiter.

„Das ist wieder eine andere Geschichte“, sagte er müde. „Immerhin hat sie die Scheidung eingereicht. Aber nicht wegen des Essens. Fährst du nächstes Wochenende eigentlich wieder zu ihr?“

„Ja“, sagte sie. „Es gibt Spanferkel“, fügte sie hinzu und grinste.

Thomas Berscheid, 9. März 2005