Der Autor: Sobeck will mitreden

Wenn der Protagonist beim Schreiben ins Auto springt

I.

„Soll ich mir noch einen Kaffee reinkippen?“ fragte sich der Autor. Er kurvte mit seiner Corvette langsam durch die Innenstadt, hatte die Fenster heruntergekurbelt und ließ sich Eric Satie um die Ohren wehen. Der Frühling hatte seine ersten Boten geschickt, und eigentlich säße er jetzt lieber auf dem Rad, aber sein Agent wollte ihn am Morgen unbedingt sehen.

Was hatte er sich in den letzten Tagen nicht den Kopf zerbrochen! Vor kaum zwei Wochen hatte er seinem Verleger eine neue Idee zu einem Sobeck-Krimi vorgestellt. Fleischskandal. Abgelaufene Ware, neu etikettiert. War vor kurzem in den Medien. Sein Verleger war begeistert. Sein Agent nicht. Der war spontan zum Vegetarier geworden.

Aber wie um alles in der Welt macht man aus der Idee einen Krimi mit Heinrich Sobeck? Der Autor begann an seiner professionellen Kreativität zu zweifeln. Welche Hindernisse sollte er seiner Hauptfigur in den Weg legen? Welche Konflikte sollte er ihn austragen lassen? Wo sollte er eins auf die Nase bekommen und wie sollte dieses Mal ein Hund sterben, wie es das Dogma der Sobeck-Krimis vorsah?

Rechts an der Corvette ging eine rund 18jährige Frau vorbei. Bauchfrei. Der Autor ließ das Fenster auf der Beifahrerseite herunter und wechselte das Programm vom MP3-Player auf Limp Bizkitt. Das Mädel drehte sich nicht um. Er mußte vor einer roten Ampel halten.

Mit einem Schwung aus dem Handgelenk drückte der Autor den Wählhebel der Automatik in die N-Stellung und nahm den Fuß von der Bremse. Er wartete darauf, daß es grün wurde. Links neben ihm stotterte ein getunter Golf, älter als der Junge ohne Hirn hinter dem Steuer.

Er kam gar nicht mehr dazu, zu überlegen, ob er den Golf in einer Wolke aus qualmenden Gummi von den 345er Reifen hinten versinken lassen sollte. Irgend jemand riß die Beifahrertür auf. Ein Carnapper? Der Autor wollte schon den Wählhebel auf geradeaus stellen und den Typ auf der Straße festnageln, als er sah, wer da die Tür aufriß.

Es war Heinrich Sobeck.

„Losfahren! Schnell!“ herrschte Sobeck den Autor an. „Na los! Dalli!“

„Iss ja okay“, stammelte der Autor und ließ den Wagen anrollen.

Dann blickte er nach rechts. „Wer sind Sie denn?“ fragte er ungläubig.

„Blöde Frage!“ blaffte Sobeck zurück.

„Also doch“, sagte der Autor mehr zu sich als zu seinem Fahrgast und entspannte sich sichtlich. „Und wo soll Ihr Taxi jetzt hinfahren?“

„Zum nächsten Straßenkaffee“, antwortete der Sobeck einsilbig. „Knackige Rückseite“, kommentierte er, als sie an der bauchfreien Frau vorbeikamen.

II.

„Was wollen Sie von mir?“ fragte der Autor und rührte seinen Milchkaffee um. „Warum haben Sie mich überfallen?“

„Weil ich mit Ihnen über einige Sachen reden muß“, antwortete der Sobeck.

„Wir sind hier nicht bei Bärbel Schäfer“, entgegnete der Autor.

„Das ist auch kein Thema einer Talkshow“, winkte der Sobeck ab und nahm einen Schluck aus seiner Espressotasse.

Der Autor sah sich seine Hauptfigur an. Heinrich sah nicht gut aus. Die Augen rot umrandet, für die Jahreszeit zu blass. Er hatte die Vorstellung, daß der Sobeck die letzten Monate zwischen zwei Buchdeckeln verbracht hatte. Solange hatte es kein neues Buch mehr mit ihm gegeben, bloß ein paar Hörbücher und einige Drehvorlagen. Die Unsicherheit der neuen Geschichte konnte man seiner Hauptfigur ansehen, dachte der Autor.

„Wo wollen Sie mich diesmal hinschicken?“ fragte der Sobeck plötzlich. „Denken Sie daran: Ich bin keine 20 mehr. Ich baue körperlich und geistig ab. Ich bin in dem Alter, im dem normale Menschen eine Familie gründen oder zumindest eine feste Beziehung haben. Und Sie wollen mich noch fetter werden lassen als ich sowieso schon bin. Sie wollen, daß ich älter werde und Falten bekomme. Das war der Hauptgrund, warum ich Ihnen heute ins Auto gesprungen bin.“

„Mein Protagonist will also endlich erwachsen werden“, sagte der Autor und lächelte den Sobeck an. „Hatten Sie nicht einmal den Satz geprägt: Wenn ich erwachsen werde, kann ich mich gleich mumifizieren lassen?“

„Den haben Sie mir in den Mund gelegt“, schoß Sobeck zurück. „Sie haben mir gesagt, ich sei jetzt Mitte 30, werde langsam dick und schlage mich immer noch mit irgendwelchen Affären herum. Das sind keine guten Arbeitsbedingungen. Spätestens mit 40 gebe ich den Löffel ab.“

„Wollen Sie sich jetzt selbstständig machen?“ fragte der Autor.

„Wir haben keinen Vertrag miteinander“, antwortete der Sobeck selbstbewußt. „Ich kann jederzeit machen, was ich will.“

„Nicht ganz“, erhob der Autor den Zeigefinger. „Ich bestimme die Grundzüge dessen, was Sie tun. Ab dann dürfen Sie machen, was Sie wollen, und wir beide wissen, daß damit ein guter Krimi sein Eigenleben beginnt. Davon können Sie sich nicht so einfach lösen.“

„Ich könnte zu einem anderen Autor gehen“, drohte der Sobeck. „Meine Arbeitsbedingungen – sehen Sie sich das doch einmal an! Ich bekomme in jedem Krimi eins auf die Nase. Mindestens. Und glauben Sie etwa, das macht mir Spaß, in jedem Krimi einen Hund zu erwürgen?“

„Ja, das soll Ihnen Spaß machen“, entgegnete der Autor. „Andere wären froh über Ihre Arbeitsbedingungen. Stellen Sie sich vor, ich würde Sie in eine Kugel laufen lassen.“

„Also das Ende?“ fragte der Sobeck genervt nach. „Exitus.“

„Oder viel schlimmer.“ Im Hirn des Autors begann es zu glühen. „Sie geben die Unsicherheit des Journalisten auf und werden Pressesprecher in einer Polizeibehörde am Niederrhein. Den ganzen Tag langweilige Arbeit eines Beamten, der nichts tun darf. Sie werden dicker und dicker und mit spätestens 50 sind Sie reif für die Frührente. Wäre das Ihr Wunschtraum?“

„Sie sind pervers“, antwortete der Sobeck ihm. „Ich habe eine andere Idee.“

„Und?“ drängte der Autor. „Ich höre!“

„Ich stecke meine Nase weiter in alles rein, was mich nichts angeht“, schlug der Sobeck vor. „Das ist mein Charakter, den haben Sie mir gegeben, das ist gut so. Aber ich will eine feste Freundin. Das kann ja gerne am Ende jedes Krimis zu Ende sein, aber beim Schnüffeln will ich wenigstens gut essen und eine gute Nummer schieben. Oder besser mehrere.“

„Ich könnte Anfälle von Impotenz einbauen“, kam der Autor ihm entgegen.

„Von mir aus“, sagte der Sobeck. „Aber einmal nicht kommen muss ausreichen.“

„Hört sich gut an“, sagte der Autor. „Damit kann ich leben“.

„Mit wem reden Sie da eigentlich?“ fragte das Mädchen mit dem bauchfreien Top, als sie sich neben den Autor auf den einzigen freien Stuhl setzte, der in dem Straßencafé noch frei war.

III.

„Fleisch“, dachte der Autor, nachdem er Julia vor dem Haus abgesetzt hatte, in dem sie ihren Angaben zufolge wohnte. Es mußte die richtige Adresse sein. Sie hatte einen Schlüssel. Und er hatte ihre Handynummer.

„Jede Menge Fleisch wirst du haben“, sagte er zu sich, warf einen Blick über die linke Schulter und ließ die Corvette Richtung Stadtautobahn rollen. Bald würde der Morgen dämmern.

„Er könnte heimliche Filmaufnahmen machen, wie Angestellte eines großen Supermarktes abgelaufenes Hackfleisch aus einer Packung nahmen, durch die Maschine jagen, neu etikettieren und in den Verkauf bringen“, sagte er weiter zu sich. Die Selbstgespräche hatte er sich in den letzten Jahren angewöhnt, allerdings hatte seine Umwelt nicht positiv darauf reagiert.

„Dann freundet er sich mit der Leiterin eines Supermarktes an“, sponn er den Gedanken weiter. „Erlebt mit ihr Höhenflüge der Liebe. Treibt es auf der Kühltheke und zwischen den Sahnejoghurts mit ihr. Und am Schluß ist sie dann die Böse. Dann nimmt das zwar ein böses Ende, aber Heinrich hat seinen Spaß.“

Er drückte das Gaspedal durch und schoß kurz vor Rot unter dem Funkturm über eine Ampel.

„Und am Samstag zeige ich Julia, was man alles bei einer Recherche anfassen muß“, dachte er und bekam hochgezogene Mundwinkel.

Thomas Berscheid, 3. Mai 2005