Gedärme

Am zweiten Tag unseres Besuchs im Norden Spaniens hatten wir einen Unfall.

In meiner kriminell geprägten Phantasie habe ich mir ja so manche grausliche Situation ausgedacht. Eine davon, wie ich gestern berichtete, ist die des Heinrich Sobeck, der nach der Detonation eines selbst gebauten Sprengsatzes zu seinem Wagen geht und einen Darm um den Außenspiegel seines Wagens hängen sieht.

Nun weiß ich, wie das in der Realität aussieht.

Wir waren im Norden der Provinz Rioja unterwegs, nicht weit weg von Haro, wo wir eine Woche lang unser Lager aufgeschlagen hatten. Rund 7 km aus der Stadt heraus waren wir auf der Suche nach der Ruine einer Burg über dem Ebro.

Unser Fahrer folgte dem Navigationssystem und wollte von der Bundesstraße nach links abbiegen. Im Rückspiegel vom Beifahrersitz aus hatte ich gesehen, dass uns ein Kleinbus seit Haro auf der Stoßstange hing. Als es beim Abbiegen ruckelte, dachte ich schon, dass uns der Kleintransporter gerammt hätte.

Wir waren schon in die kleine Straße abgebogen, als ich von links das Geräusch eines bremsenden Lkw hörte. Dann sah ich die Ecke des Lastwagen auf uns zurasen. Es schepperte. Der Lastwagen schob unseren Kleinwagen ein paar Zentimeter zur Seite. Eine Sekunde Stille.

Dann hörte ich das Geräusch von weichen Gegenständen, die auf unseren Wagen fallen. Für Sekunden schlugen weiche Dinge auf dem Dach, auf der Heckscheibe, auf dem Stummelheck unseres Kleinwagen auf.

Ich warf einen Blick zur Seite. Dachte mir: „Lass es nicht das sein, was du da gerade zu sehen glaubst. Wir sind in einer Weingegend. Lass es Maische sein, Reste der Weinproduktion, oder etwas aus der floralen Landwirtschaft. Aber nicht das, was du gerade siehst.“

Dann machte ich die Tür auf. Roch das Blut. Und wusste mit einem Schlag, dass ich leider richtig gesehen hatte.

Uns selber war nichts passiert. Dem Fahrer des Lastwagens auch nicht. Unser Wagen hatte eine eingedrückte Fahrertür. Das war alles.

Nach dem Aufprall des Lastwagen
Nach dem Aufprall des Lastwagen

Der Lastwagen aber hatte Schlachtabfälle geladen. Und der Fahrer hatte den oben offenen Container nicht verschlossen, die Ladung war nicht gesichert. Bei der Vollbremsung hatte sich die Masse im Container nach vorne bewegt und war über den Rand des Containers geschwappt. Die Masse aus Gedärmen, Gallenblasen und anderen Resten hatte sich über den Kran des Lastwagens ergossen, über das Führerhaus, war zwischen Container und Führerhaus heruntergeflossen und zur Seite geschwappt. Auch auf unserem Wagen waren Zentner von Gedärmen gelandet, hatten sich auf dem Stummelheck und der Fahrerseite des Wagens verteilt.

Auf der Bundesstraße lagen nun bestimmt eine Tonne Gedärme herum. Der Lastwagen stand zuerst mit dem Heck noch auf der Gegenspur. Um die Straße frei zu machen, zog der Fahrer nach vorne. Zum ersten Mal hörte ich das Geräusch von Zwillingsreifen, die Därme und Innereien langsam zerquetschen. Als die Spur wieder frei war, fuhren dann andere Lastwagen durch die Innereien. Es war ein Geräusch wie von stabilem Wasser, über das jemand mit einer riesigen Teigrolle fährt.

Dazu der Geruch von Blut. Das Frühstück wollte den Weg nach draußen nehmen. Ich versuchte mich von dem Geruch zu entfernen. Ging nicht so gut. Immer wenn ich mich dem Auto näherte, spürte ich wieder den Brechreiz. Die Frauen aus den Häusern neben dem Weg boten mir Wasser an, ich lehnte ab, das hätte eher den Weg nach draußen befördert.

Nach ein paar Minuten kam die Polizei und nahm den Unfall auf. Unser Fahrer nahm sich ein paar Stöcke aus dem Gras neben den Weg und schaufelte die Gedärme vom Stummelheck seines Wagens. Diese lagen nun zum Trocknen auf der Straße und boten ein Festmahl für die Fliegen, die sich nun reichlich einfanden. Die Guardia Civil Trafico regelte mittlerweile den Verkehr.

Ein anderer Wagen des Unternehmens, dass die Schlachtabfälle transportierte, kam hinzu. Unter dem Schutz der Polizei begannen die Mitarbeiter, die Straße von den Gedärmen zu befreien. Ein Mitarbeiter nutzte einen Laubbläser, um die in den Asphalt eingefahrenen Reste der Därme in den Seitenstreifen zu blasen. Was die Jungs von der Straße kratzten, sammelten sie in Metallkübeln, die der Fahrer dann mit Kram wieder in den Container kippte.

Einer von der Mitarbeitern musste auf den Lastwagen klettern und zog die Gedärme von dem Kranausleger herunter. Ein Darm hatte sich anscheinend widerborstig um die Leitung für das Hydrauliköl geschlungen – erinnerte mich an die Szene vom Sobeck und dem Außenspiegel.

Die Mitarbeiter des Unternehmens nutzten nun Schaufeln, um den Weg freizumachen, in den wir links abbiegen wollten. Immer wenn einer der Jungs die Schaufel hochnahm, hingen links und rechts Gedärme herunter. Das erinnerte mich an die Reisnudeln der asiatischen Nudelsuppe, die ein Kollege von mir gerne isst, der übrigens Vegetarier ist.

Unser Fahrer zog nun den Heckscheibenwischer ab und entfernte von diesem die Gedärme, die sich darum gewickelt hatten. Der Haufen auf der Erde war inzwischen angetrocknet und von Fliegen besetzt. Nach einer Stunde hatte die Polizei dann die Arbeit beendet.

Bilder von den Gedärmen habe ich nicht gemacht. Die Kamera lag hinten im Auto, der Zugriff darauf hätte Därme auch im Kofferraum bedeutet. Außerdem hielt mein Brechreiz mich davon ab, mich dem Wagen zu nähern. Als das eingetrocknete Blut dann abgewaschen war, habe ich die Fahrertür mit dem Abdruck der Stoßstange des Lastwagen aufgenommen.

Wir kamen eine weitere Stunde später an dem Lastwagen vorbei. Einige Gedärme lagen immer noch da. Auch fast eine Woche später waren die Reste der Innereien noch im Asphalt zu sehen.

Die Festung haben wir zwar gesehen, aber einen Zugang haben wir dann doch nicht gefunden.